Mittwoch, 27. Januar 2016

Gnade in der Erziehung




Meine Tochter und ich haben gerade keine leichte Zeit miteinander. Mir gegenüber verhält sie sich oft widerspenstig und ignorant, während sie zu ihrem kleinen Bruder ziemlich gemein ist. Unser häufigster Konflikt dreht sich um die Türen, die sie ihm vor der Nase zuknallt und dabei in Kauf nimmt, dass er sich die Finger klemmt oder den Kopf stößt (was alles schon mehrmals passiert ist). Egal, wie oft ich mit ihr rede, sie ermahne, korrigiere, schimpfe oder auf die stille Bank setze – nichts hilft. Natürlich, sie ist erst zweieinhalb Jahre alt und sieht nur ihre eigene Perspektive, trotzdem macht mich ihr Verhalten oft ratlos und wütend.

Zum einen tut mir Samuel leid, der für seinen Teil (noch…) völlig unschuldig ist, der angeschrien, ausgeschlossen und auch gehauen wird. Aber besonders weh tut mir, Noemi so zu sehen: böse, egoistisch, zornig, unbelehrbar. Wir alle möchten in unseren Kindern nur das Gute finden, sie loben und ihre positiven Fortschritte bewundern; wir wünschen uns, dass sie stets freundlich und gutherzig sind, immer mit anderen teilen und ihnen helfen. So sieht die Realität nur leider nicht aus.

Wenn ich dann meine Tochter mit ihren Ausrastern erlebe, in ihrer blinden Wut und – letztlich – ihrer Hilflosigkeit ihren eigenen Gefühlen gegenüber, dann erschrecke ich manchmal, weil ich mich selbst in ihr entdecke. Ich weiß, dass das irgendwie auch meine Wut, meine Verzweiflung, meine Raserei ist. Sie hat das von mir, den Jähzorn, und das macht mir Angst. Ich fühle in diesen Momenten mit ihr (obwohl sie mich damit wahnsinnig macht!) und wünsche mir sehnlichst, ihr helfen zu können! Sie ist noch so klein, und wird bereits mit so vielen schweren Emotionen konfrontiert: Zorn, Verletzlichkeit, Angst, Scham, und Schuld. Wie soll sie das können, wenn ich selbst oft nicht dazu in der Lage bin, meine Gefühle zu beherrschen und positiv mit ihnen umzugehen? Wenn ich selbst schreie oder grob werde, obwohl ich ihr sage, dass ein solches Verhalten nicht gut ist?

Gestern standen wir an der großen Straße, die wir jeden Tag mindestens viermal überqueren, und mussten mal wieder lange warten. Wir hatten (auch mal wieder…) eine blöde Abholsituation hinter uns und ich fühlte mich so mutlos. „Warum ist sie so?“, fragte ich ins Blaue hinein, „Was mache ich falsch?“
Und da traf mich die Erkenntnis: Sie ist so, weil sie ein Mensch ist. Ein Menschenkind. Sie ist genauso wenig „perfekt“ wie ich es bin. Auch wenn sie noch ein kleines Kind ist, hat sie bereits mit den Auswirkungen der Sünde in ihrem Leben zu kämpfen. Meine Tochter mit ihren zweieinhalb Jahren erlebt bereits die Diskrepanz zwischen dem Guten, das wir wollen und dem, was wir stattdessen oft tun – weil wir tief drinnen nicht anders können. Weil jeder von uns tief drinnen ein misstrauisches, sündiges Herz hat.

Als ich das verstand, musste ich weinen. Für mich war diese Erkenntnis eine Erleichterung und eine Last zugleich. Meine Tochter ist ein sündiger Mensch, schon jetzt. Und das tut weh. Ich möchte mein Kind nicht so sehen, ich möchte nicht schlecht von ihr denken (oder schreiben – ich habe wirklich überlegt, ob ich das hier überhaupt so schreiben kann). Aber das hier ist die Realität, und meine Tochter ist ja nicht schlimmer als andere Kinder, sie ist ein ganz normales Menschenkind. Auch sie hat ihr Päckchen zu tragen, wie wir alle. Auch sie braucht Vergebung, braucht Erlösung und einen Neuanfang, immer und immer wieder.

Sie braucht Jesus.
WIR brauchen Jesus.

Als ich am Nachmittag etwas Luft hatte, setzte ich mich mit meinem Tagebuch hin und schrieb mir das alles von der Seele. Während der Stift über das Papier raste, ordneten sich meine Gedanken, formten sich langsam zu drei konkreten Vorsätzen für unser Familienleben:

Erstens: Für dieses Jahr habe ich mir ohnehin vorgenommen, Jesus viel enger in unseren Alltag einzubeziehen – und dies schließt natürlich unsere Kinder mit ein und unsere innerfamiliären Beziehungen. Das Leben mit Jesus ist nicht nur für die Sonnenscheinmomente. Es ist mir nach wie vor sehr wichtig, ihm zu danken und Freude mit ihm zu teilen. Aber wir dürfen ihm auch (und gerade!) unsere Schuld und unser Versagen bringen. Wir dürfen ihn um Weisheit bitten, um Geduld, Liebe und Vergebung.
Für Konfliktsituationen bedeutet das, dass ich innehalten werde um ihm alles Stressige und Hässliche anzubefehlen. Gemeinsam mit den Kindern im Gebet. Auch wenn die beiden noch klein sind, glaube ich doch, dass meine Tochter dies schon ein bisschen verstehen kann. Sie weiß, dass „beten“ mit Jesus reden heißt. Nun soll sie lernen, dass wir dies immer und überall tun können (und nicht nur abends vorm schlafen gehen), und dass wir ihm alles, wirklich alles bringen dürfen. Wir dürfen Vergebung empfangen und einander zusprechen – und das macht einen Unterschied!

Zweitens: Ein Vers aus dem Epheserbrief beschäftigt mich gerade wieder: Wir sollen unsere Kinder nicht zum Zorn reizen (Kapitel 6,4). Oft nehme ich eher das Gegenteil wahr – dass meine Tochter mich reizt, aber wie oft bin in Wirklichkeit ich selbst der „Aggressor“ – ungeduldig, ungerecht, unbeherrscht, ignorant, lieblos! Wie kann ich von meinen Kindern verlangen, freundlich miteinander zu sprechen, wenn ich selbst ausfallend werde? Wie kann ich meiner Tochter helfen, ihre Wut zu kontrollieren, wenn ich selbst Tobsuchtsanfälle bekomme? Um ein brauchbares Vorbild für Noemi und Samuel zu werden, muss ich mich zuerst von Jesus erziehen und verändern lassen. Ich darf für mich selbst in Anspruch nehmen, dass Seine Gnade größer als all mein Versagen ist.
Auch das wird einen Unterschied machen.

Drittens: Mir ist klar geworden, dass meine Tochter mehr von meiner Liebe, Zeit und Aufmerksamkeit braucht. Seit der Geburt des kleinen Bruders hat sich ihr Leben stark verändert, ohne dass sie darauf irgendeinen Einfluss nehmen konnte. Das hat sie verunsichert und die Nachwirkungen bekommen wir alle bis heute zu spüren. Ich weiß, dass der Grund für ihr grobes Verhalten Samuel gegenüber ihre Eifersucht ist. Auch dieses Motiv verstehe ich sehr gut und empfinde es ihr nach; tief in mir habe ich dieselben Gefühle, dieselbe Angst, zu kurz zu kommen, verlassen oder nicht genug geliebt zu werden.
Diesen Emotionen begegnet man am besten mit Liebe, mit Verständnis und Aufmerksamkeit. Noemi braucht Zeit und Raum für sich selbst und mit mir, ohne den Kleinen, ohne dass er ihr überall hin folgt oder ihre Sachen durcheinanderbringt. Ebenso wie ich ihn manchmal schützen muss, braucht auch meine Große einen Schutzraum, in den er nicht einbrechen darf.

Die Erziehung von Kindern ist keine leichte Aufgabe – davon bekomme ich eine immer bessere Vorstellung. Gleichzeitig bin ich unendlich froh, dass ich sie als Jesus-Nachfolgerin nicht allein bewältigen muss.
Gott sei Dank kann uns vergeben werden, immer wieder!
Gott sei Dank können wir an jedem Tag neu anfangen!
Gott sei Dank hängt der „Erfolg“ der Erziehungsaufgabe nicht an uns:
Gottes Gnade ist immer noch viel größer als unser Versagen!




3 Kommentare:

  1. Liebe Rebekka,
    Sehr ähnliche Probleme haben wir mit unserer Tochter auch, was wohl daran liegt dass meine Kinder ähnlich alt sind wie deine! Sie hat auch von jetzt auf gleich angefangen ihren kleinen Bruder zu verletzen auf verschiedenste Weise und je mehr wir darauf reagierten desto schlimmer wurde es! Dann hätte mein Mann Elternzeit und es war mehr Zeit für die Kinder da! Sie piesakt ihren Bruder zwar noch immernoch aber ist auch genauso oft liebevoll und umsorgt und macht Spaß mit ihm! Das Ganze hat mir gezeigt dass sie dringend ungeteilte Aufmerksamkeit braucht in der sie keine Rücksicht auf ihren Bruder nehmen muss! Und jetzt versuche ich regelmäßig einen Mutter-Tochter-Nachmittag freizuschaufeln an dem wir tun wozu sie Lust hat und wir einfach Zeit haben! Zu diesen Zeiten erlebe ich meine Tochter auf andere Weise als im normalen Alltag und es tut so gut! Ich hoffe ihr findet diese Zeiten gemeinsam und sie entdeckt in ihrem Bruder mehr und mehr einen Spielkameraden mit dem sie heimlich die Keksdose plündern kann;)

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  2. Ich habe solche Zeiten mit dem "Großen" auch gehabt, nur wir beide! Er durfte sich wünschen, was wir machen. Lego bauen, ein Buch vorlesen, Popcorn machen waren dann so seine Wünsche. Dafür haben wir ein kleines Heft angelegt, in das ich nach der gemeinsamen Zeit geschrieben habe, was wir gemacht haben und wir haben beide mit einem Fingerabdruck "unterschrieben". Das Ganze ist 14 Jahre her und er hat das Heft heute noch ...

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  3. Hallo ihr beiden, habt vielen Dank für eure Kommentare! Heute Nachmittag waren Noemi und ich zusammen in einem Buchladen, nur wir beide, und sie hat sich ein schönes Buch ausgesucht. Die Idee mit dem Heft finde ich super! Danke für den Tipp! Da ich für Noemi ohnehin ein Tagebuch führe, werde ich die gemeinsamen Unternehmungen dort mitaufnehmen :) Es braucht wohl alles Zeit, und vor allem viel, viel Liebe!

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