Sonntag, 2. Juli 2017

Lektionen




Wenn ich etwas ganz fest glaube, dann daran, dass Gott uns alle Dinge zum Besten dienen lassen kann und wird. Ich glaube daran, auch wenn mir bei bestimmten Situationen absolut nicht in den Kopf will, wie Gott daraus noch etwas Gutes entstehen lassen will. Unser dritter (und bisher unerfüllter) Kinderwunsch gehört nicht dazu. Soll heißen: Ich habe eine feste Gewissheit, dass diese Phase für mich und uns als Familie Gutes birgt, dass Gott einen guten Plan für uns hat. Wie ich darauf komme, kann ich nicht erklären, und oft genug hadere ich noch damit, dass es gerade nicht so läuft, wie ich möchte – aber tief in meinem Herzen ist es ok. It is well with my soul.
Gott verfolgt mit meinem Leben oft wohl etwas andere Ziele als ich. Eines dieser Ziele scheint zu sein, mir Dinge beizubringen, über das Leben, über Ihn, über mich. Gerade schwierige, harte Zeiten sind Lernzeiten, was bedeutet, dass ich zur Zeit unheimlich viel lerne – und dafür bin ich dankbar.

Wenn ich im Folgenden darüber schreibe, was ich lerne und wie Gott an mir arbeitet, dann ist das als ganz subjektiver, persönlicher Bericht zu verstehen. Ich weiß, dass manche von euch, die den Text lesen, ebenfalls betroffen sind und ihre Situation unter Umständen ganz anders erleben. Hiermit möchte ich euch also nicht sagen, wie ihr ungewollte Kinderlosigkeit/ Kinderwunsch sehen oder damit umgehen sollt. Vielmehr teile ich mit euch ein Stück von Gottes Weg mit mir, und freue mich natürlich, wenn ihr einen guten Gedanken daraus für  euch mitnehmen könnt.


Nichts ist selbstverständlich!
Wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückschaue, wird mir bewusst, wie viel mir „in den Schoß gefallen“ ist: Schule und Studium fielen mir recht leicht und ich konnte mit guten Ergebnissen glänzen, mein Mann und ich lernten uns in jungem Alter kennen, Jobangebote stellten sich ein, wir bekamen zwei Kinder, als wir dazu „bereit“ waren, wir sind alle gesund und fröhlich – meistens, jedenfalls. Wenn alles so gut läuft im Leben, tendiert man tendiere ich leicht dazu, das als selbstverständlich zu betrachten. Menschen, die z.B. im akademischen Bereich erfolgreich sind, können oft nicht verstehen, warum andere sich mit dem Erreichen der mittleren Reife schwer tun. Frauen, die schnell und spontan schwanger werden, können teilweise nicht nachvollziehen, weshalb es bei anderen nicht klappt. Bis dann Schwierigkeiten auftauchen, bis wir mit unserem eigenen Können und Vermögen nicht mehr weiterkommen. Dann spüren wir, wie wenig wir selbst in der Hand haben. Wie unendlich beschenkt wir sind!
Für mich ist dies eine wertvolle, aber auch harte Lektion: Alles, was ich bin und habe, ist nicht selbstverständlich. Und ich habe es mir auch nicht selbst zu verdanken. Das, was mein Leben im Kern ausmacht, das, was wirklich zählt, ist mir geschenkt worden. Alles!
Ich habe nicht unter Kontrolle, was passieren wird – vielmehr bin ich eingeladen, meine Hände aufzuhalten und zu vertrauen. Dem, der alles unter Kontrolle hat. Dem, der der Geber aller guten Gaben ist.


Dankbarkeit
Aus diesem Bewusstsein entspringt schließlich unendliche Dankbarkeit. Denn ich bin reich beschenkt. Ich muss nicht lange überlegen, um Seiten füllen zu können mit Dingen, für die ich Gott dankbar bin. Und das tue ich auch: Immer wieder nehme ich mein Dankbarkeitstagebuch zur Hand und schreibe Segen um Segen auf die weißen Seiten. Besonders an Tagen, an denen es mir nicht gut geht, ist dies eine wertvolle Übung.
Ich möchte mich auf das konzentrieren, was ich habe, anstatt mein Herz an Sehnsüchte und Träume zu hängen, die vielleicht niemals erfüllt werden. Loslassen tut weh, es befreit uns aber auch. Es macht uns frei und empfänglich für das Gute, das wir tagtäglich erfahren.



Ich werde eine „bessere“ Mama
Ganz besonders dankbar bin ich für meine beiden Kinder.
Diese Herzenshaltung macht einen großen Unterschied im Umgang mit meinen beiden Wilden, die mir doch gern mal den letzten Nerv rauben... Ich habe festgestellt, dass Dankbarkeit mich dazu befähigt, geduldiger, gütiger, freundlicher und verständnisvoller mit meinen Kindern umzugehen. Ich genieße die gemeinsamen Stunden mit ihnen mehr, bin hingebungsvoller, leidenschaftlicher, liebevoller – jetzt, wo ich (endlich!) verstehe, was für ein Wunder das ist, was für ein Geschenk!
In den vergangenen Jahren habe ich das Mutter-Sein viel zu oft als Last, als Einschränkung empfunden. Es war (und ist) die größte Herausforderung meines Lebens! So sehr ich meine Kinder liebe, ich habe sie wohl oft als „selbstverständlich“ hingenommen, habe über sie geklagt, mir Ruhe von ihnen gewünscht.
Und ich dachte, genauso selbstverständlich, dass sich einmal noch ein drittes Kind zu unserer Familie gesellen würde. Noch eine Chance, um ein paar Versäumnisse nachzuholen, um Fehler zu korrigieren. (Schlimm, oder?)
Diese „Chance“ werde ich vielleicht nicht mehr bekommen. Aber ich brauche sie auch überhaupt nicht, um meinen beiden Kindern eine bessere Mama sein zu können. Diese beiden kleinen Menschen sind hier, sie brauchen mich jetzt und ich darf ihre Mama sein. Diese Chance ergreife ich jeden Tag neu, und ich bin sehr dankbar dafür, dass Gott mir die Augen dafür geöffnet hat.


Wir sind viele!
Mein vorletzter Blog-Post löste so viele Leser-Reaktionen aus wie keiner zuvor: Ich bekam E-Mails, in denen Leserinnen ihre Geschichten mit mir teilten – ihre Wunder ebenso wie ihren Schmerz. Und viele dankten mir dafür, dieses sehr persönliche, tabuisierte Thema angesprochen zu haben.
Ungewollte Kinderlosigkeit ist tatsächlich ein Tabu, und es ist mir demzufolge nicht leicht gefallen, darüber zu schreiben. Bevor ich zum ersten Mal einen Text darüber veröffentlichte, überlegte ich mir gut, welche Gründe dagegen sprechen könnten – und mir wurde klar, dass Scham mein einziger Hinderungsgrund war. Ja, ich schämte mich! Für meinen Körper und seine „Unfähigkeit“. Etwas, wofür ich nichts kann und wofür sich keine Frau (und auch kein Mann!) schämen muss. Deshalb habe ich meinen Text für die Öffentlichkeit frei gegeben.
Die Tatsache, dass kaum jemand über unerfüllten Kinderwunsch spricht, täuscht darüber hinweg, wie viele Paare davon betroffen sind. Öffnet man sich dagegen, und teilt diese Erfahrung mit anderen, ist man überrascht über die Reaktionen: Man hört von Fehlgeburten, von erfolglosen Kinderwunschbehandlungen, von gescheiterten Beziehungen. Und auch wenn diese Geschichten nicht „schön“ sind und viele davon kein Happy End haben, ist es doch wertvoll, sie zu hören! Weil sie helfen, das Tabu zu entmachten. Weil sie Gemeinschaft stiften und Trost schenken – weil sie uns zeigen, dass wir nicht alleine sind.



Es ist nicht immer so, wie es scheint!
Erst vor ein paar Tagen erzählte eine Künstlerin, die ich total bewundere und schätze, in einer Instagram-Story, dass sie in den vergangenen Jahren drei Fehlgeburten erlitten hat. Sie wollte davon erzählen und ihren Schmerz mit den Zuschauern teilen, weil sie wirklich authentisch sein wollte, ein Mensch aus Fleisch und Blut, jemand, der mehr ist als schöne, perfekte, bunte Bilder auf Instagram. Ich fand ihren Mut bewundernswert – und war gleichzeitig unangenehm berührt, fühlte mich ihr gegenüber beinahe schuldig, weil ich mich manchmal gefragt hatte, warum sie eigentlich „nur“ ein Kind hat. Von wegen: Wäre es nicht mal Zeit für ein zweites? Und nun erfuhr ich von ihrem Kinderwunsch, von ihren Fehlgeburten! Beschämt schrieb ich mir hinter die Ohren (und auf mein Herz, zum wiederholten Male): Hör auf, über andere zu urteilen!
Was weiß denn ich, warum manche Paare kinderlos bleiben, warum es bei manchen bei einem Kind bleibt, warum zwischen manchen Geschwistern viele Jahre liegen? Ich weiß NICHTS. Und selbst, wenn ich es wüsste – es geht mich nichts an. Wir treffen alle unsere eigenen Entscheidungen. Und oft genug haben wir einfach keine Wahl.  
Ich bin in einer Familie groß geworden, in der viel ge- und verurteilt wird, und es fällt mir schwer, diese Gewohnheit abzulegen. Die Urteile ploppen in meinem Kopf auf, ohne dass ich großartig nachdenke. Mittlerweile gelingt es mir aber immer besser, diese Urteile in ihre Schranken zu weisen, sie zu relativieren und sogar umzudrehen. Dachte ich jedenfalls…
Mein unerfüllter Kinderwunsch macht mich sensibler, milder. Sätze wie: „Na, wann ist es bei euch endlich mal soweit?“ haben mich immer schon gestört, sind inzwischen aber vollkommen untolerierbar für mich geworden (Bitte nicht sagen! Niemals!). Es ist oft nicht so, wie es scheint. Hinter einem einzelnen Faktum steckt immer auch eine Geschichte, und diese Geschichte gehört zu einem wertvollen, verletzlichen Menschen, der daran vielleicht zu knapsen hat. Daran möchte ich denken.


Das Leben geht weiter, und ich will es nicht verpassen.
Zehn Monate sind inzwischen vergangen seit diesem einen Gespräch zwischen meinem Liebsten und mir. Es war ein wunderschöner Spätsommerabend und wir verbrachten ihn als Familie im Britzer Garten. Noemi und Samuel spielten vergnügt und wir entschieden uns, ein drittes Kind zu bekommen. Ich erinnere mich noch genau daran. Wir haben uns das so einfach vorgestellt.
Wir hätten beide niemals gedacht, dass es so lange dauern würde, und wohl noch viel länger…
In diesen zehn Monaten seit unserem Entschluss ist viel passiert. Wir haben Thanksgiving, Weihnachten und Ostern gefeiert. Wir sind verreist, haben gearbeitet, gespielt, gelebt. Die Kinder sind größer, schwerer und klüger geworden. Es waren zehn volle, gute Monate. Trotzdem.
Ich möchte diese Monate nicht durch die Kinderwunsch-Brille sehen, sie nicht daran messen oder sie als Misserfolg werten, weil es in dieser Zeit „nicht geklappt“ hat. Denn auch diese Monate waren mein Leben, waren unser Leben als Familie.
Bis zu meiner OP sind es noch über zwei Monate. Auch diese beiden Monate möchte ich nicht nur als wohl-oder-über-zu-überbrückende-Wochen ansehen, als Wartezeit, als leeren Zwischenraum. Nein, auch diese zwei Monate sind Lebenszeit! Gute, wertvolle, hoffnungsvolle Zeit. Minuten, Stunden, Tage, Wochen, die mir geschenkt sind. Nicht, um mich zu sorgen, mich in Wenns zu hüllen, mich weg zu wünschen – sondern um zu lachen und zu  teilen und zu glauben und zu lernen und zu spielen und zu lieben.



Im Glauben weitergehen, Schritt für Schritt
Wir wissen nicht, was kommt. Ja, eine OP - aber deren Ausgang ist vollkommen ungewiss. Ebenso wie die Frage, ob wir irgendwann einmal zu fünft sein werden. Ich habe Jesus schon ein paar Mal gefragt, aber er möchte darauf nicht antworten... ;) Er möchte, dass ich im Vertrauen wachse, einen Schritt nach dem anderen wage, mit ihm zusammen. Egal, was kommt.
Und das mache ich. Etwas anderes bleibt mir sowieso nicht übrig. Und etwas anderes will ich auch nicht. Wo bliebe denn sonst die Spannung?


Ganz liebe Grüße an euch alle! Danke für euer Lesen und Anteilnehmen, für eure Nachrichten und Gebete. Mir bedeutet das alles unheimlich viel. Danke!

eure Reh