Tell me,
what is it you plan to do
With your
one wild and precious life?
-Mary
Oliver-
Noemi ist heute genau 12 Wochen alt und ich dachte, dies
wäre doch ein schöner Anlass, meinen so lange vernachlässigten Blog
wiederzubeleben. Sofern sie es zulässt – gerade liegt sie ganz zufrieden in
ihrer Wippe und strampelt was das Zeug hält.
Noemis Geburt vor 12 Wochen ist eine große Zäsur in meinem
Leben, wahrscheinlich der prägendste Einschnitt, den ich bisher erfahren habe.
Nichts ist mehr so, wie es war. Ein neues Kapitel wurde aufgeschlagen und ein
Zurückblättern ist nur noch in Gedanken möglich. Ich bin nun nicht mehr für
mich allein verantwortlich, sondern für uns beide. Wir sind fast permanent
zusammen und ihre Bedürfnisse haben grundsätzlich eine höhere Priorität als
meine. Was ich möchte oder fühle oder mir wünsche, ist zweitrangig geworden.
Noemi ist es, die zählt. Meine persönliche Freiheit ist stark eingeschränkt und
wird es in den nächsten Jahren auch bleiben.
Das ist mir – bei all den wunderschönen, unbezahlbaren
Momenten, die es zweifelsohne zu Hauf gibt und für die ich unendlich dankbar
bin – besonders in den ersten Tagen und Wochen ihres Lebens sehr schwer
gefallen. Der berühmte „Baby-Blues“ schlug zu und brachte mich, dank
Hormonumstellung und Schlafmangel, regelmäßig zum Heulen. In manchen
Augenblicken hätte ich Noemi am liebsten in die Obhut meiner Eltern gegeben,
weil ich glaubte, keine gute Mutter für sie sein zu können.
Und auch wenn diese emotional extrem belastende Phase nun
ausgestanden ist und ich Noemi niemals
längerfristig einer anderen Person anvertrauen würde , so nehme ich doch wahr,
dass ihre Geburt und die Zeit unmittelbar danach einige Gedanken und Gefühle
wieder an die Oberfläche meines Bewusstseins gespült hat, die ich für – zumindest
einigermaßen – bearbeitet und abgehakt gehalten hatte.
Da ist zum einen das ganz große Thema der Selbstannahme.
Damit habe ich sehr große Schwierigkeiten, um nicht zu sagen: Es gelingt mir
eigentlich überhaupt nicht, mich
selbst anzunehmen und zu akzeptieren, wie ich bin. Wenn ich es versuche, kommt
höchstens ein „Ja, ABER….“ Dabei heraus. Meine stark ausgeprägte Selbstkritik
bezieht sich auf mein Äußeres ebenso wie auf meinen Charakter. Dies wurde mir
durch meine neue Rolle als Mutter sehr bewusst. Da sind so viele (meist
implizite) Vorstellungen und Erwartungen in mir, wie man als „gute Mutter“ zu
sein hat, die ich alle nicht erfüllen kann. Jedenfalls sollte eine gute Mutter
immer geduldig sein, jedes Freiheitsopfer ohne Bedauern für ihr Kind erbringen
und natürlich kurz nach der Geburt wieder super aussehen, damit sie ihrem Mann
auch noch gefällt (denn eine perfekte Mutter ist auch gleichzeitig eine
perfekte Ehefrau). Dass ich anfangs – und auch jetzt noch – so meine
Schwierigkeiten mit den kollidierenden Bedürfnissen von Noemi und mir hatte,
Noemis Schreiattacken nicht immer gleichmütig ertragen kann und oft von eigenen
Heulanfällen geschüttelt wurde, kam in meiner Liste von der „guten Mutter“
jedenfalls nicht vor. Also habe ich mal wieder versagt.
Und versage auch regelmäßig bei der Selbstannahme.
Zweitens fiel mir auf, dass ich in meiner Beziehung zu Gott
und meinem Glaubensleben noch einiges zu tun habe, was die Identifizierung und
Ablegung falscher Glaubenssätze und Gottesbilder angeht. Natürlich fällt die
Gestaltung des geistlichen Lebens mit Kind schwerer als vorher; meistens will
Noemi gerade dann ganz dringend etwas trinken, wenn der Gottesdienst beginnt oder
ich mir gerade die Bibel für eine gewinnbringende Lektüre schnappen wollte.
Auch da stehe ich vor der Herausforderung, neue Formen und Möglichkeiten für
mich zu finden, geistlich, in der Nachfolge, zu wachsen.
Aber noch viel wichtiger scheint es mir, endlich meinen
Groll gegen Gott anzugehen und die verkehrte Vorstellung loszulassen, ich
müsste mich einfach nur genug anstrengen, dann würde ich Jesus schon ähnlicher,
„ebenbildlicher“ werden.
Drittens – und damit greife ich das obenstehende Zitat auf –
frage ich mich, was ich eigentlich mit meinem „einen wilden und wertvollen
Leben“ anfangen möchte. Meine Tage mit Noemi lassen an sich nicht wirklich
Langeweile aufkommen und sie wüsste es sicherlich sehr schätzen, wenn ich sie permanent
auf dem Arm herumtrüge und bespaßte. Aber am Ende eines solchen Tages habe ich
oft ein Gefühl von gleichzeitig „zu viel“ und „zu wenig“. „Zu viel“ ist mir oft
die ständige Verfügbarkeit für meine kleine Tochter sowie die Verantwortung,
die ich meistens allein für sie trage. Gleichzeitig habe ich „zu wenig“ Zeit
und Energie für Falko, Freundschaften, Hobbys, kleine Freiheiten und Entspannung,
viel „zu wenig“ eine Vision davon, wie ich mein Leben eigentlich gestalten
möchte.
Ja, mir ist klar, dass ich mal wieder zu viel von allem
will.
Ich möchte eine „perfekte“ Mutter sein, die gleichzeitig
Ehemann, Freunde, Gemeinde, Hobbys, ihren Körper und ihre persönliche
Entwicklung so gekonnt jongliert, dass keins davon zu kurz kommt.
Wahrscheinlich sollte ich das Wort „perfekt“ aus meinem
Wortschatz streichen.
Und mir häufiger vergegenwärtigen, wofür ich eigentlich
dankbar bin. Jetzt und hier:
- Für die Sonne, die mir so angenehm warm auf den Arm scheint
- Für meine hübsche und süße Tochter, die noch dazu gesund ist, humorvoll, sportlich, intelligent und sprachbegabt :)
- Für den Sport, den ich heute machen konnte, während sich Falko um Noemi kümmerte
- Für Falko, der ein sehr liebevoller Vater ist und ein noch viel tollerer Ehemann
- Für die Minuten, in denen ich völlig frei und ungestört diesen Blogeintrag schreiben konnte (Danke, Noemi!)
- Für die Papierkraniche, die ich heute schon gefaltet habe
- Dafür, dass ich nach der Schwangerschaft wieder Salami essen darf
- Für 8 Stunden Nachtschlaf am Stück
- Für eine tolle Familie und wunderbare Freunde, die mich immer unterstützen und bei denen ich mich geben darf, wie ich bin
- Für die Schokopuddings im Kühlschrank (potentielle Glücksenergie)
- Für die Möglichkeit, zu Hause zu bleiben und ganz für Noemi da zu sein
- Dass ich schon ein paar Ideen für Weihnachtsgeschenke habe und sogar schon welche besorgen konnte (voll gut, oder?)
- Dass ich gesund bin und in einem Land lebe, in dem auch viel dafür getan wird, dass es so bleibt