Dienstag, 22. Oktober 2013

Dieses neue Leben



Tell me, what is it you plan to do

With your one wild and precious life?
-Mary Oliver-


Noemi ist heute genau 12 Wochen alt und ich dachte, dies wäre doch ein schöner Anlass, meinen so lange vernachlässigten Blog wiederzubeleben. Sofern sie es zulässt – gerade liegt sie ganz zufrieden in ihrer Wippe und strampelt was das Zeug hält.
Noemis Geburt vor 12 Wochen ist eine große Zäsur in meinem Leben, wahrscheinlich der prägendste Einschnitt, den ich bisher erfahren habe. Nichts ist mehr so, wie es war. Ein neues Kapitel wurde aufgeschlagen und ein Zurückblättern ist nur noch in Gedanken möglich. Ich bin nun nicht mehr für mich allein verantwortlich, sondern für uns beide. Wir sind fast permanent zusammen und ihre Bedürfnisse haben grundsätzlich eine höhere Priorität als meine. Was ich möchte oder fühle oder mir wünsche, ist zweitrangig geworden. Noemi ist es, die zählt. Meine persönliche Freiheit ist stark eingeschränkt und wird es in den nächsten Jahren auch bleiben.
Das ist mir – bei all den wunderschönen, unbezahlbaren Momenten, die es zweifelsohne zu Hauf gibt und für die ich unendlich dankbar bin – besonders in den ersten Tagen und Wochen ihres Lebens sehr schwer gefallen. Der berühmte „Baby-Blues“ schlug zu und brachte mich, dank Hormonumstellung und Schlafmangel, regelmäßig zum Heulen. In manchen Augenblicken hätte ich Noemi am liebsten in die Obhut meiner Eltern gegeben, weil ich glaubte, keine gute Mutter für sie sein zu können.
Und auch wenn diese emotional extrem belastende Phase nun ausgestanden ist und ich Noemi niemals längerfristig einer anderen Person anvertrauen würde , so nehme ich doch wahr, dass ihre Geburt und die Zeit unmittelbar danach einige Gedanken und Gefühle wieder an die Oberfläche meines Bewusstseins gespült hat, die ich für – zumindest einigermaßen – bearbeitet und abgehakt gehalten hatte. 

Da ist zum einen das ganz große Thema der Selbstannahme. Damit habe ich sehr große Schwierigkeiten, um nicht zu sagen: Es gelingt mir eigentlich überhaupt nicht, mich selbst anzunehmen und zu akzeptieren, wie ich bin. Wenn ich es versuche, kommt höchstens ein „Ja, ABER….“ Dabei heraus. Meine stark ausgeprägte Selbstkritik bezieht sich auf mein Äußeres ebenso wie auf meinen Charakter. Dies wurde mir durch meine neue Rolle als Mutter sehr bewusst. Da sind so viele (meist implizite) Vorstellungen und Erwartungen in mir, wie man als „gute Mutter“ zu sein hat, die ich alle nicht erfüllen kann. Jedenfalls sollte eine gute Mutter immer geduldig sein, jedes Freiheitsopfer ohne Bedauern für ihr Kind erbringen und natürlich kurz nach der Geburt wieder super aussehen, damit sie ihrem Mann auch noch gefällt (denn eine perfekte Mutter ist auch gleichzeitig eine perfekte Ehefrau). Dass ich anfangs – und auch jetzt noch – so meine Schwierigkeiten mit den kollidierenden Bedürfnissen von Noemi und mir hatte, Noemis Schreiattacken nicht immer gleichmütig ertragen kann und oft von eigenen Heulanfällen geschüttelt wurde, kam in meiner Liste von der „guten Mutter“ jedenfalls nicht vor. Also habe ich mal wieder versagt.
Und versage auch regelmäßig bei der Selbstannahme.

Zweitens fiel mir auf, dass ich in meiner Beziehung zu Gott und meinem Glaubensleben noch einiges zu tun habe, was die Identifizierung und Ablegung falscher Glaubenssätze und Gottesbilder angeht. Natürlich fällt die Gestaltung des geistlichen Lebens mit Kind schwerer als vorher; meistens will Noemi gerade dann ganz dringend etwas trinken, wenn der Gottesdienst beginnt oder ich mir gerade die Bibel für eine gewinnbringende Lektüre schnappen wollte. Auch da stehe ich vor der Herausforderung, neue Formen und Möglichkeiten für mich zu finden, geistlich, in der Nachfolge, zu wachsen.
Aber noch viel wichtiger scheint es mir, endlich meinen Groll gegen Gott anzugehen und die verkehrte Vorstellung loszulassen, ich müsste mich einfach nur genug anstrengen, dann würde ich Jesus schon ähnlicher, „ebenbildlicher“  werden.

Drittens – und damit greife ich das obenstehende Zitat auf – frage ich mich, was ich eigentlich mit meinem „einen wilden und wertvollen Leben“ anfangen möchte. Meine Tage mit Noemi lassen an sich nicht wirklich Langeweile aufkommen und sie wüsste es sicherlich sehr schätzen, wenn ich sie permanent auf dem Arm herumtrüge und bespaßte. Aber am Ende eines solchen Tages habe ich oft ein Gefühl von gleichzeitig „zu viel“ und „zu wenig“. „Zu viel“ ist mir oft die ständige Verfügbarkeit für meine kleine Tochter sowie die Verantwortung, die ich meistens allein für sie trage. Gleichzeitig habe ich „zu wenig“ Zeit und Energie für Falko, Freundschaften, Hobbys, kleine Freiheiten und Entspannung, viel „zu wenig“ eine Vision davon, wie ich mein Leben eigentlich gestalten möchte.

Ja, mir ist klar, dass ich mal wieder zu viel von allem will.
Ich möchte eine „perfekte“ Mutter sein, die gleichzeitig Ehemann, Freunde, Gemeinde, Hobbys, ihren Körper und ihre persönliche Entwicklung so gekonnt jongliert, dass keins davon zu kurz kommt.

Wahrscheinlich sollte ich das Wort „perfekt“ aus meinem Wortschatz streichen.
Und mir häufiger vergegenwärtigen, wofür ich eigentlich dankbar bin. Jetzt und hier:

  •     Für die Sonne, die mir so angenehm warm auf den Arm scheint
  •    Für meine hübsche und süße Tochter, die noch dazu gesund ist, humorvoll, sportlich, intelligent und sprachbegabt :)
  •  Für den Sport, den ich heute machen konnte, während sich Falko um Noemi kümmerte
  •  Für Falko, der ein sehr liebevoller Vater ist und ein noch viel tollerer Ehemann
  •  Für die Minuten, in denen ich völlig frei und ungestört diesen Blogeintrag schreiben konnte (Danke, Noemi!)
  •  Für die Papierkraniche, die ich heute schon gefaltet habe
  •  Dafür, dass ich nach der Schwangerschaft wieder Salami essen darf
  •  Für 8 Stunden Nachtschlaf am Stück
  •  Für eine tolle Familie und wunderbare Freunde, die mich immer unterstützen und bei denen ich mich geben darf, wie ich bin
  •  Für die Schokopuddings im Kühlschrank (potentielle Glücksenergie)
  •  Für die Möglichkeit, zu Hause zu bleiben und ganz für Noemi da zu sein
  •  Dass ich schon ein paar Ideen für Weihnachtsgeschenke habe und sogar schon welche besorgen konnte (voll gut, oder?)
  •  Dass ich gesund bin und in einem Land lebe, in dem auch viel dafür getan wird, dass es so bleibt
DANKE!



Sonntag, 21. Juli 2013

Eine Seifenblase namens Perfektion


Am Freitagabend ist mir ein Stück meines linken oberen Schneidezahns abgebrochen. Falko würde sagen, dass es nur ein wirklich winziges Stück ist und dass er dessen Fehlen ohne meinen Panikanruf gar nicht bemerkt hätte – aber für mich war das in gewisser Hinsicht ein Schlüsselerlebnis, und deshalb teile ich es mit euch, obwohl es schon ziemlich persönlich ist.
Ich war immer stolz auf meine quasi kariesfreien Zähne und dass die Zahnärzte mich immer lobten, weil sie nie bohren oder sonst irgendwas machen mussten. Und jetzt das – ein kostbares Stück Zahn für immer weg. Das hat mich schon gewurmt. Aber der eigentliche Schock bestand für mich darin, dass ich das Gefühl hatte, schon wieder ein Stück meiner Schönheit verloren zu haben. Unwiederbringlich.

Meine liebe Freundin Bettina fragte mich bei unserem letzten Treffen, was für mich die größte Herausforderung während der Schwangerschaft (gewesen) wäre. So spontan konnte ich ihr darauf keine Antwort geben, aber jetzt, nach dem Zahn-Erlebnis, denke ich, dass die größte Herausforderung für mich der Umgang mit den körperlichen Veränderungen ist, die ich durchlaufen musste. Ja, als Frau (und vielleicht auch als Mann) ist man ja nie so wirklich mit dem eigenen Körper zufrieden und hat Schwierigkeiten damit, sich so zu akzeptieren wie man ist. Das war bei mir auch vor der Schwangerschaft schon so, dass ich mich oft hässlich oder zu dick oder was auch immer fand. Aber wenn ich jetzt meinen Körper, so wie er vor der Schwangerschaft war, zurückhaben könnte, würde ich ihn glücklich annehmen und womöglich mit ganz anderen – positiveren – Augen sehen.
Da hatte ich jedenfalls noch deutlich weniger Kilos drauf und weder Elefantenfüße (Wassereinlagerungen) noch rötliche Streifen am Bauch. Die werden zwar mit der Zeit verblassen, aber nie mehr vollständig verschwinden. Und auch wenn ich nach der Geburt wieder einiges an Gewicht verlieren werde, so ist die Traumfigur dann in noch weitere Fernen gerückt.

Es fällt mir nicht leicht, das zuzugeben, aber ich bin wohl viel eitler als gedacht und Attraktivität ist ein größerer Wert in meinem Leben als angenommen. Wenn ich die Frage „Was dominiert mein Denken?“ aus dem letzten Blogeintrag ehrlich beantworte, bin ich sogar ziemlich bestürzt darüber, wie stark mein Denken um mein äußeres Erscheinungsbild – und insbesondere meine körperliche Mangelhaftigkeit – kreist. Teilweise muss ich mich sogar überwinden das Haus zu verlassen, weil ich mich so unwohl fühle und nicht möchte, dass die Leute auf der Straße mich sehen (dabei bin ich denen herzlich egal). Und wenn ich dann unter Menschen bin, frage ich mich, was die Leute von mir denken könnten und kann an keinem Schaufenster vorübergehen, ohne einen prüfenden (und schließlich unzufriedenen) Blick auf meinen Po zu werfen… Ich hätte nie gedacht, wie wichtig es mir ist, schön und attraktiv zu sein bzw. auf andere zu wirken. Das wurde mir durch den Verlust des kleinen Zahnstücks bewusst, und durch all die anderen kleineren und größeren „Verluste“ während der Schwangerschaft.

Dabei möchte ich doch gar nicht, dass diese Äußerlichkeiten und das Urteil der Gesellschaft mein Denken,  Fühlen und schließlich Handeln bestimmen. Ich wünsche mir so sehr frei von diesem Ich-Zwang, von all der Selbstkritik und Gefallsucht und dem Vergleichen und der Oberflächlichkeit zu sein! Ich will mich selbst endlich so annehmen können wie ich bin (mit allen Dehnungsstreifen und Kilos und Muttermalen und Pickelchen) – und dann keinen Gedanken mehr daran verschwenden, selbstvergessener werden.
Ich will nicht behaupten, dass Gott mir absichtlich ein Stück Zahn „ausgeschlagen“ hat, um mich auf die richtige Spur zu bringen. Aber wenn ich ihn bitte, mich zu verändern, dann muss ich schon auch damit rechnen, dass er einige Lektionen für mich bereit hält und dass scheinbar zufällige oder kleine Begebenheiten einen gewissen Aha- (und hoffentlich auch Lern-)Effekt beinhalten können.
Jedenfalls kamen mir beim Nachdenken über die ganze Thematik zwei Gedanken:

1)      Was mir fehlt, ist definitiv Dankbarkeit und damit die richtige Perspektive auf meine aktuelle Situation. Denn wie undankbar und überhaupt völlig merkwürdig ist es, den momentanen Zustand meines Körpers als „Verfall“ wahrzunehmen. Eine Schwangerschaft ist doch das komplette Gegenteil von „Verfall“ oder gar „Verlust“! Mein Körper läuft gerade zur Höchstform auf: Er versorgt zur Zeit zwei Menschen mit allem, was sie brauchen; er hat ein neues Leben in sich aufgenommen und nun schon 39 Wochen lang in sich erhalten, geschützt, wachsen und gedeihen lassen; er hat sich an die neuen Anforderungen angepasst und viele zusätzliche Lasten tragen müssen. Und bald wird mein Körper das kleine Wesen in mir zur Welt bringen, mit ungeheurer Kraft und (wie man mir sagte) unter fast unaushaltbaren Schmerzen – um es dann noch für weitere Monate zu versorgen und zu ernähren… Was für ein großes Wunder das ist, dieses neue Leben und dass ich es in mir tragen darf – ist mir das überhaupt bewusst? Dass dieser „Zustand“ nicht spurlos an meinem Körper vorübergeht, ist irgendwie logisch und vollkommen normal. Wie wäre es, wenn ich mich einfach mal darüber freue, dass es mir und dem Kind so gut geht, dass mein Körper in der Lage war, das Kind so lange so gut zu hegen und zu pflegen, anstatt ständig nur auf ihm rumzuhacken?

2)      Was ich außerdem dringend benötige ist eine neue Sicht auf mich selbst. Schönheit ist natürlich eine sehr positive Sache, ebenso wie Perfektion – und ich glaube auch, dass die Sehnsucht danach in uns Menschen angelegt ist. Nicht umsonst wollen viele kleine Mädchen Prinzessinnen sein und Bücher mit Titeln wie „Weißt du nicht, wie schön du bist?“ verkaufen sich wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Ich möchte dem gern auf die Spur kommen, was Schönheit eigentlich bedeutet, in Gottes Augen. Das Hohelied feiert die Schönheit des menschlichen Körpers, der König David wird als attraktiver Mann beschrieben und auch das himmlische Jerusalem wird strahlen vor Glanz und Schönheit. Gleichzeitig gibt es Verse, die uns auf die Vergänglichkeit und Sinnlosigkeit von äußerlicher Schönheit hinweisen: „Euer Schmuck soll nicht äußerlich sein wie Haarflechten, goldene Ketten oder prächtige Kleider, sondern der verborgene Mensch des Herzens im unvergänglichen Schmuck des sanften und stillen Geistes: das ist köstlich vor Gott.“ (1. Petrus 3, 3+4) oder „Lieblich und schön sein ist nichts; ein Weib, das den Herrn fürchtet, soll man loben.“ (Sprüche 31,30)
Und was sagt mein Streben nach Vollkommenheit und Fehlerlosigkeit über mich und mein Gottesbild aus, warum habe ich immer das Gefühl, nicht zu genügen, nicht „richtig“ zu sein, so wie ich bin? Ich denke, Gott fordert mich heraus, loszulassen: alles das, was eigentlich nicht wichtig ist. Das winzige Stückchen Zahn ebenso wie meine (hauptsächlich negativen) Selbstbilder. Dass ich meinen Blick wieder neu auf IHN richte und mich (wenn ich mich schon begutachten muss) mit seinen Augen zu sehen lerne.