Mein letzter „reiner“ Bücherliebe-Post ist schon eine Weile
her – nur gut, dass ich gerade so viel interessante Lektüre habe, die ich mit
euch teilen kann!
Sechs Bücher sind es an der Zahl, sehr unterschiedlich in
Genre, Umfang und Thema, also hoffentlich ist für jede was dabei :)
R. Rose/ H. Budjuhn: Die zwölf Geschworenen (Original: Twelve angry men)
Eigentlich bin ich nicht so die Theater-Gängerin (obwohl ich
schon mal wieder Lust darauf hätte…) und lese auch nicht gern Dramen, aber
dieses kleine Bändchen ist wirklich super! Gerade lese ich das Stück zum
zweiten Mal und bin ganz neu fasziniert:
Zwölf Geschworene müssen (am heißesten Tag des Jahres) über „schuldig“
oder „nicht schuldig“ entscheiden: Hat der junge Angeklagte seinen Vater
ermordet? Der Fall scheint glasklar; dem Mann droht die Todesstrafe. Ein
einziger Geschworener hegt Zweifel – und bringt damit die Geschichte ins
Rollen.
Es ist ein Stück über Gerechtigkeit und über den Wert des
menschlichen Lebens:
"Nr. 10: Glauben Sie dem Jungen ein Wort?
Nr. 8: Ich weiß nicht, ob ich ihm glaube. Vielleicht glaube
ich ihm nicht.
Nr. 7: Dann versteh ich noch weniger, warum Sie für „nicht
schuldig“ gestimmt haben!
Nr. 8: Elf haben ihn schuldig gesprochen. Ich kann nicht so
einfach meine Hand heben und jemand in den Tod schicken. Ich muss erst darüber
sprechen."
Timothy Keller:
Bedingungslos geliebt. Von zwei verlorenen Söhnen und einem liebenden Vater
(Original: The Prodigal God)
Es ist eine der bekanntesten biblischen Geschichten, die Timothy
Keller sich hier vornimmt, und man könnte sich vielleicht fragen, ob nicht
schon genug darüber gesagt und geschrieben worden ist. Ziemlich schnell aber
wird dem Leser, dass er noch sehr, sehr viel lernen kann, dass er manches bisher
falsch gesehen und bewertet hat, dass Jesus dieses Gleichnis vielleicht gar
nicht primär für die „jüngeren Söhne“ erzählte.
Die Botschaft des Buches – und damit des Gleichnisses – ist herausfordernd,
der Stil seelsorgerlich. Beim Lesen leg ich immer einen Bleistift bereit, um
mir all die guten und wichtigen Sätze zu unterstreichen, die ich darin finde.
Zum Beispiel diesen – der beschäftigt mich jetzt schon seit
Tagen:
„Wenn die Verkündigung unserer Geistlichen und die
Lebenspraxis unserer Gemeindeglieder nicht die Wirkung auf andere Menschen
haben, die Jesus hatte, dann verkündigen wir offensichtlich nicht dieselbe
Botschaft wie Jesus.“
Emily St. John
Mandel: Das Licht der letzten Tage (Original: Station Eleven)
Ein Gutes hatte die lange Warterei beim Arzt wenigstens: Ich
konnte mich so richtig in dieses Buch versenken, die Figuren kennenlernen und die
wunderschöne Sprache genießen.
Es ist ein Post-Apokalypse-Roman: Der Großteil der
Erdbevölkerung ist der Georgischen Grippe zum Opfer gefallen; binnen weniger
Tage starben die Menschen wie die Fliegen. Nur wenige sind übrig geblieben, von
der „Zivilisation“, wie wir sie heute kennen – Internet, Flugzeuge, Polizei,
medizinische Versorgung, Infrastruktur – gibt es nur noch Fragmente. Und
Erinnerungen. Eine Gruppe Schauspieler und Musiker haben sich zu einer „fahrenden
Symphonie“ zusammengeschlossen. Sie ziehen durch die menschenleere Weite, und
wo sie auf andere Überlebende treffen, spielen sie ihnen Stücke von
Shakespeare vor.
Der Erzähler springt dabei in den Zeitebenen hin und her:
Die erzählte Zeit reicht von mehreren Jahren vor der Katastrophe bis ins Jahr
20 danach. Die Menschen erinnern sich, und oft erinnern sie sich auch nicht, an
das, was einmal war und nie wieder sein wird.
Ich hätte nicht gedacht, dass mir ein Buch mit so einem
Thema tatsächlich gefallen würde. Aber das tut es. Die Geschichte fesselt mich,
die Figuren berühren mich, eine Frage geht mir nach: Was bleibt?
„Überleben allein ist unzureichend.“
„Clark blickt auf und betrachtet die abendlichen Aktivitäten
auf dem Rollfeld, die Flugzeuge, die seit zwanzig Jahren hier stehen, die
flackernde Spiegelung seiner Kerze auf dem Fenster. Er erwartet nicht, in
seinem Leben noch einmal ein Flugzeug abheben zu sehen, aber ist es wohl
möglich, dass irgendwo schon wieder Schiffe in See stechen? Wenn es jetzt
wieder Städte mit Straßenlaternen gibt, wenn es Symphonien und Zeitungen gibt,
was könnte diese wiedererwachende Welt dann noch bereithalten? Vielleicht legen
in diesem Moment Schiffe ab, die zu ihm oder von ihm wegfahren, gesteuert von Matrosen,
die mit Karten und Kenntnissen des Sternenhimmels gerüstet sind, angetrieben
von der Not oder einfach nur von der Neugier: Was ist aus den Ländern auf der
anderen Seite des Meeres geworden? Es macht schon Spaß, sich diese Möglichkeit
auszumalen. Ihm gefällt der Gedanke, dass Schiffe sich übers Wasser bewegen, zu
einer Welt, die außerhalb ihrer Sichtweite liegt.“
Donald Miller: Scary
Close
Dies ist schon das zweite Buch von Donald Miller, das ich
mir von meiner Freundin leihen durfte, und ich habe es ebenso gern gelesen wie zuvor
Blue like Jazz. Hier wird der Autor
jedoch noch persönlicher – er berichtet (ziemlich schonungslos) davon, wie er
langsam beziehungsfähig wurde. Als mal wieder eine Liebesbeziehung unschön in
die Brüche ging, verordnete er sich selbst ein Jahr ohne Dates, um das in
Ordnung zu bringen, was in ihm kaputt und durcheinander war. Davon berichtet er
– von einer „Therapie“, der er sich unterzog, von vielen Gesprächen mit
Weggefährten und Freunden, und schließlich auch davon, wie er Betsy kennenlernte
– seine Ehefrau.
Vieles von dem, was Donald Miller beschreibt, ist mir fremd –
in vielem finde ich mich aber auch wieder. Es ist ein Buch, das sich sehr
leicht und locker liest, das auch unheimlich witzig (und amerikanisch) ist – aber das sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen,
wie tief Millers Fragen reichen und wie existenziell wichtig das ist, worüber
er schreibt: Beziehungen, Identität, Sinn. Es lohnt sich also, die Kapitel
nicht einfach runterzulesen, sondern innezuhalten, nachzudenken, Notizen zu
machen.
Besonders nachhaltig beeindruckt hat mich das Kapitel über
Familie und Kindererziehung:
“I’m noticing
a common characteristic of healthy families, though. The characteristic is
this: kids with parents who are honest about their shortcomings seem to do
better in life. […] It’s as though vulnerability and openness act as the soil
that fosters security.”
“The more
children know about their family history, the stronger their sense of control
over their lives, the higher their self-esteem and the more successfully they
believe their families functioned.”
“If honesty
is the key to intimacy, it means we don’t have to be perfect and, moreover, we
don’t have to pretend to be perfect.”
Tomas Sjödin: Warum
Ruhe unsere Rettung ist
Dieses Buch hätte ich mir wahrscheinlich nie gekauft – dass es
nun doch seinen Weg zu mir gefunden hat, bestätigt mir einmal mehr, dass wir
selbst nicht immer wissen, was gut für uns ist.
„Ruhe“ ist (gerade) eigentlich kein Thema für mich. Einerseits
glaube ich, genug Ruhe zu haben, bzw. genug Zeit für die Dinge, die ich mag,
genug Zeit zum Lesen, Zeichnen, Bloggen und so weiter. Manchmal schäme ich mich
sogar ein bisschen dafür, denn den Menschen um mich herum scheint es überhaupt
nicht so zu gehen – ja, im Grunde denke ich, dass alle viel mehr und härter
arbeiten als ich.
Andererseits vermeide ich wirkliche Ruhe. Während ich die Wäsche aufhänge, läuft das Radio,
beim Zeichnen schaue (bzw. höre…) ich Serien oder Filme, und meistens sind auf
meinem Laptop mehrere Fenster geöffnet, sodass ich Nachrichten verfolgen, Leute
auf facebook stalken und gleichzeitig diesen Blogeintrag verfassen kann (das
funktioniert tatsächlich nicht so gut…). Beim Gedanken an einen stillen Tag
oder gar ein Stille-Wochenende spüre ich sowohl Sehnsucht als auch Ablehnung in
mir aufsteigen…
Von Tomas Sjödins Buch habe ich bisher erst wenige Seiten
gelesen, aber diese haben mir gefallen, sie haben in mir bereits Lust auf Ruhe
geweckt. Wahrscheinlich werde ich lange brauchen, bis ich damit „durch bin“,
aber das macht nichts. Ich möchte mir Zeit nehmen und sehen, was passiert.
Eine Erkenntnis aus Sjödins Küchenbankphilosophie:
„Denke nicht: ‚Das kostet Zeit‘, sondern: ‚Die Zeit nehm‘
ich mir!‘“
Harper Lee: Go set a watchman
Mein aufmerksamer Ehemann hat mir diesen Roman zu Ostern
geschenkt und mir damit einen großen Wunsch erfüllt. Denn für einen Fan von To kill a mockingbird ist die Lektüre
von Harper Lees zweitem (bzw. eigentlich ihrem ersten) Werk ein Muss!
Mit dem Anfang tat ich mich schwer. Ich merke, dass ich
langsam aus der Übung gerate, was die englische Sprache betrifft. Es wird immer
mühsamer für mich, englische Texte zu lesen oder Filme mit Originalton zu
sehen. Umso wichtiger also, dass ich dran bleibe.
Langsam fand ich mich in der Geschichte, in der Sprache
zurecht und die Handlung nahm Fahrt auf:
Die junge Jean Louise Finch (auch „Scout“ genannt) kehrt aus
New York in ihre Heimatstadt Maycomb zurück, um ihren alternden Vater Atticus
zu besuchen. Je länger sie bleibt, desto fremder fühlt sie sich, und desto
erschütternder sind die Einsichten, die sie über die Menschen gewinnt, die sie
am meisten liebt.
Ich habe den Roman noch nicht bis zum Ende gelesen, finde
ihn bisher aber durchaus lesenswert. Er stößt einiges in mir an: Wie schnell
verurteilen wir die Menschen, die uns nahe stehen – und welches Recht haben wir
dazu? Und wie gehen wir damit um, wenn geliebte Personen uns auf einmal
vollkommen fremd erscheinen, wenn wir ihre Einstellungen und Handlungen für
absolut intolerabel halten?
Keine leichte Lektüre, aber vielleicht eine wichtige.
“Every man’s
island, Jean Louise, every man’s watchman, is his conscience.”
Und, was lest ihr gerade so?