Für meine Tochter,
die wundersüße,
das Geburtstagskind
Es erstaunt mich immer noch, wie cool ich war. Ich hatte
sowas von keine Ahnung, was mich erwartete, und das war auch besser so.
Am Abend bevor du geboren wurdest, saßen dein Papa und ich
beim Mexikaner und aßen Burritos. Denn „wer weiß, wann wir das wieder machen
können…“ Ich hatte schon regelmäßige Wehen, aber sie ließen sich irgendwie
ertragen; mit meinem Wissen von heute würde ich sagen, dass es aber schon „richtige“
Wehen waren. Es war so heiß an diesem Abend, und die Bedienung brachte mir
einen Fächer, fragte, wann es denn so weit sei. Als wir ihr sagten, heute sei
der errechnete Geburtstermin (die Wehen erwähnten wir nicht), meinte sie nur,
wir hätten ja Nerven…
Wir gingen nach Hause, was aber dauerte, weil ich alle paar
Minuten eine Pause einlegen musste. Trotzdem dachte ich noch nicht daran, dass
nur wenige Stunden später du das
Licht der Welt erblicken würdest. Zu Hause angekommen, schaute ich online noch
irgendeine Serie, duschte und legte mich ins Bett (!). Ziemlich schnell wurde
mir aber klar: Nein, das Baby kommt
JETZT, wir müssen ins Krankenhaus! Dein Papa war etwas verdutzt, dass ich
ihm plötzlich so einen Druck machte, er solle sofort ein Taxi rufen.
Als wir im Krankenhaus ankamen, schloss mich die diensthabende
Hebamme an den Wehenschreiber an, untersuchte mich aber nicht – in derselben
Nacht wurden noch fünf weitere Kinder auf der Geburtsstation geboren. Nach etwa
einer Stunde schaute sie erst wieder bei uns rein, da ich begonnen hatte, ein
bisschen zu schreien. Der Muttermund war vollständig geöffnet und du konntest
dich auf deine erste Reise begeben. Nach ziemlich viel Hin und Her und
zweieinhalb Stunden später flutschtest du förmlich aus mir heraus und schriest
deinen ersten Schrei.
Ich war erleichtert und glücklich, als die Hebamme dich auf
meinen Bauch legte: Ein munteres und gesundes Kind, ziemlich dünn zwar, aber
alles dran. Und du warst so sauber… Jetzt war die Geburt überstanden, dachte
ich, und wir hatten das alle ganz gut gemacht – doch irgendetwas schien nicht
zu stimmen. Da war sehr viel Blut und die Plazenta kam nicht raus, wie sehr sie
auch auf meinem Bauch herumdrückten. Du durftest kurz an meiner Brust saugen,
wurdest dann aber zum Messen, Wiegen und Untersuchen mitgenommen – zu dem
Zeitpunkt ahnte ich nicht, dass ich dich erst Stunden später wiedersehen würde,
nach der Ausschabung unter Vollnarkose.
Leute in blauen Kitteln kamen herein, drückten mir eine
Sauerstoffmaske aufs Gesicht und fragten, ob ich nüchtern sei (was ich bejahte,
denn den Burrito hatte ich gleich bei der Ankunft im Krankenhaus in die Nierenschale
„abgegeben“).
In der Zwischenzeit hatte dein Papa dich in seinen Armen
gewiegt; gegen Morgen glaubte er, sie würden ihm jeden Moment abfallen. Als er
dich wieder auf meine Brust legte, warst du vollständig angezogen, trugst
Windel und Mützchen und sahst so friedlich aus, wunderschön.
In diesem Augenblick verschwand meine Coolness (sollte ich
jemals welche besessen haben). Du warst so winzig, so zart, so hilflos – und ich
sollte nun für dich verantwortlich sein, für dich sorgen? Wie sollte ich das
denn machen? Ich hatte doch gar keine Ahnung von kleinen Kindern und vom
Mama-Sein!?!
Manchmal denke ich, dass deine Geburt nicht nur diese paar
Stunden im Krankenhaus dauerte; „Wehen“ hatte ich jedenfalls noch Wochen und
Monate später. Wir mussten uns erst kennenlernen, du und ich, und ich musste in
meiner neuen Rolle als Mama ebenso erst ankommen wie du in dieser lauten und
bunten Welt. Das Stillen war oft schwierig und ich hatte Angst, dich nicht
ernähren zu können. Es fiel mir schwer, meine Bedürfnisse hinten anzustellen
und für dich zu „funktionieren“ – und das, obwohl du doch eigentlich ein
Wunderkind warst – und schon nach wenigen Tagen nachts durchschliefst! (Ich
sehe das als Gnade Gottes…)
Wie oft saß ich da, dich im Arm haltend, mit Tränen in den
Augen – weil ich so gerührt war und dankbar und glücklich und stolz,
gleichzeitig so unendlich hilflos, verzweifelt, überfordert. Ich liebte dich so
sehr, und zur selben Zeit erschien es mir manchmal unmöglich, dir die Mutter zu
sein, die du brauchtest.
Heute bist du genau 2 Jahre alt und flitzt den ganzen Tag
durch die Wohnung, baust tolle duplo-Häuser und „liest“ deinem kleinen Bruder
Bücher vor. Ein tolles Mädchen bist du geworden, das alle Leute auf der Straße
mit einem freundlichen „Hallo“ grüßt, ein Faible für Motorräder hat und die
Zwei-Wort-Satz-Phase langsam aber sicher hinter sich lässt. Du bist ein
Papa-Kind, das beim Abendlied trotzdem am liebsten auf Mamas Schoß sitzt. Ich
verstehe deine Wortschöpfungen am besten, ich bin diejenige, die als erste
sieht, was du Neues gelernt hast, die dich in- und auswendig kennt und trotzdem
jeden Tag von dir in Staunen versetzt wird. Du bist meine Erstgeborene, der
Mensch, der mich zur Mama gemacht hat.
Ja, in dieser schwülen Juli-Nacht vor zwei Jahren wurde
nicht nur ein Kind geboren – gleichzeitig kamen eine Mama und ein Papa zur Welt,
und eine kleine Familie entstand. Wir haben mit dir gemeinsam den ersten
Atemzug getan, in dieses neue Leben mit dir. Zusammen mit dir gehen wir immer
wieder die allerersten Schritte, stolpern, fallen hin und stehen wieder auf.
Es gibt Tage, da flutscht alles und wir springen vergnügt
durch dieses wunderbare Leben, da ist einfach alles perfekt und ich denke, dass
ich in den letzten zwei Jahren doch irre viel gelernt hab! Und dann gibt es
auch Tage, da fühle ich mich wieder wie damals im Krankenhaus, als ich (noch) keine
Milch für dich hatte und du so dünn warst und so verzweifelt schriest und ich betete:
„Gott, ich kann das nicht!“ Das sind
Tage, an denen mir klar wird, dass wir weiterhin unterwegs sind, dass es immer
wieder tausend kleine und große Erste-Male gibt, dass ich keine „Expertin“ bin.
Eher ein Greenhorn. Aber die „Ausbildung“ zur Mama dauert nun mal ein Leben
lang, kann nicht in drei Jahren abgeschlossen werden. Gott sei Dank.
Heute, an deinem Geburtstag, empfinde ich vor allem
Dankbarkeit für dein Leben, für diese deine unsterbliche Seele, für dich. Dass ich deine Mama sein darf, ist für mich
ein unfassbar großes Geschenk.
Ich bin dankbar, dass du bist, wie du bist, unverwechselbar,
einzigartig, wunderbar erdacht und gemacht. Es erfüllt mich mit Dankbarkeit
(und zugleich mit Wut), dass du hier und jetzt in Frieden, Sicherheit und
Wohlstand heranwachsen kannst – wo zeitgleich Millionen Menschen weltweit auf
der Flucht sind und nicht wissen, was der morgige Tag bringen wird. Ich bin
dankbar, und gleichzeitig weiß ich, dass wir zum Handeln aufgefordert sind,
dass wir nicht bei uns stehen bleiben dürfen.
Und ich danke unserem Vater im Himmel, dass er uns bis
hierher begleitet hat – dich als Kind und mich als Mutter. In den vergangenen
24 Monaten hat Er es mir durch dich nahegebracht, was es bedeutet, dass Gott
mein Vater (und meine Mutter) ist und dass ich seine Tochter bin. Nie war ich
näher dran an unserem großen Gott, der ein kleines Kind wurde und hier mit uns
als Mensch lebte.
Du bist für mich ein Engel, weil du von Gott gekommen bist,
weil er dich zu uns geschickt hat, mit ganz vielen Botschaften seiner Liebe und
seinen Vorstellungen vom Leben auf dieser Erde.
Du hast zwar keine Flügel, aber eines Tages wirst du
davonfliegen, in dein eigenes Leben.
Bis dahin begleiten wir dich, Schritt für Schritt, voll
Staunen und Danken, und gehen gemeinsam weiter an der Hand des Vaters.
Happy birthday, mein Schatz!