Donnerstag, 30. Juli 2015

Die Geburt einer Mutter



Für meine Tochter,
die wundersüße,
das Geburtstagskind



Es erstaunt mich immer noch, wie cool ich war. Ich hatte sowas von keine Ahnung, was mich erwartete, und das war auch besser so.
Am Abend bevor du geboren wurdest, saßen dein Papa und ich beim Mexikaner und aßen Burritos. Denn „wer weiß, wann wir das wieder machen können…“ Ich hatte schon regelmäßige Wehen, aber sie ließen sich irgendwie ertragen; mit meinem Wissen von heute würde ich sagen, dass es aber schon „richtige“ Wehen waren. Es war so heiß an diesem Abend, und die Bedienung brachte mir einen Fächer, fragte, wann es denn so weit sei. Als wir ihr sagten, heute sei der errechnete Geburtstermin (die Wehen erwähnten wir nicht), meinte sie nur, wir hätten ja Nerven…
Wir gingen nach Hause, was aber dauerte, weil ich alle paar Minuten eine Pause einlegen musste. Trotzdem dachte ich noch nicht daran, dass nur wenige Stunden später du das Licht der Welt erblicken würdest. Zu Hause angekommen, schaute ich online noch irgendeine Serie, duschte und legte mich ins Bett (!). Ziemlich schnell wurde mir aber klar: Nein, das Baby kommt JETZT, wir müssen ins Krankenhaus! Dein Papa war etwas verdutzt, dass ich ihm plötzlich so einen Druck machte, er solle sofort ein Taxi rufen.
Als wir im Krankenhaus ankamen, schloss mich die diensthabende Hebamme an den Wehenschreiber an, untersuchte mich aber nicht – in derselben Nacht wurden noch fünf weitere Kinder auf der Geburtsstation geboren. Nach etwa einer Stunde schaute sie erst wieder bei uns rein, da ich begonnen hatte, ein bisschen zu schreien. Der Muttermund war vollständig geöffnet und du konntest dich auf deine erste Reise begeben. Nach ziemlich viel Hin und Her und zweieinhalb Stunden später flutschtest du förmlich aus mir heraus und schriest deinen ersten Schrei.
Ich war erleichtert und glücklich, als die Hebamme dich auf meinen Bauch legte: Ein munteres und gesundes Kind, ziemlich dünn zwar, aber alles dran. Und du warst so sauber… Jetzt war die Geburt überstanden, dachte ich, und wir hatten das alle ganz gut gemacht – doch irgendetwas schien nicht zu stimmen. Da war sehr viel Blut und die Plazenta kam nicht raus, wie sehr sie auch auf meinem Bauch herumdrückten. Du durftest kurz an meiner Brust saugen, wurdest dann aber zum Messen, Wiegen und Untersuchen mitgenommen – zu dem Zeitpunkt ahnte ich nicht, dass ich dich erst Stunden später wiedersehen würde, nach der Ausschabung unter Vollnarkose.
Leute in blauen Kitteln kamen herein, drückten mir eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht und fragten, ob ich nüchtern sei (was ich bejahte, denn den Burrito hatte ich gleich bei der Ankunft im Krankenhaus in die Nierenschale „abgegeben“).
In der Zwischenzeit hatte dein Papa dich in seinen Armen gewiegt; gegen Morgen glaubte er, sie würden ihm jeden Moment abfallen. Als er dich wieder auf meine Brust legte, warst du vollständig angezogen, trugst Windel und Mützchen und sahst so friedlich aus, wunderschön.
In diesem Augenblick verschwand meine Coolness (sollte ich jemals welche besessen haben). Du warst so winzig, so zart, so hilflos – und ich sollte nun für dich verantwortlich sein, für dich sorgen? Wie sollte ich das denn machen? Ich hatte doch gar keine Ahnung von kleinen Kindern und vom Mama-Sein!?!
Manchmal denke ich, dass deine Geburt nicht nur diese paar Stunden im Krankenhaus dauerte; „Wehen“ hatte ich jedenfalls noch Wochen und Monate später. Wir mussten uns erst kennenlernen, du und ich, und ich musste in meiner neuen Rolle als Mama ebenso erst ankommen wie du in dieser lauten und bunten Welt. Das Stillen war oft schwierig und ich hatte Angst, dich nicht ernähren zu können. Es fiel mir schwer, meine Bedürfnisse hinten anzustellen und für dich zu „funktionieren“ – und das, obwohl du doch eigentlich ein Wunderkind warst – und schon nach wenigen Tagen nachts durchschliefst! (Ich sehe das als Gnade Gottes…)
Wie oft saß ich da, dich im Arm haltend, mit Tränen in den Augen – weil ich so gerührt war und dankbar und glücklich und stolz, gleichzeitig so unendlich hilflos, verzweifelt, überfordert. Ich liebte dich so sehr, und zur selben Zeit erschien es mir manchmal unmöglich, dir die Mutter zu sein, die du brauchtest.

Heute bist du genau 2 Jahre alt und flitzt den ganzen Tag durch die Wohnung, baust tolle duplo-Häuser und „liest“ deinem kleinen Bruder Bücher vor. Ein tolles Mädchen bist du geworden, das alle Leute auf der Straße mit einem freundlichen „Hallo“ grüßt, ein Faible für Motorräder hat und die Zwei-Wort-Satz-Phase langsam aber sicher hinter sich lässt. Du bist ein Papa-Kind, das beim Abendlied trotzdem am liebsten auf Mamas Schoß sitzt. Ich verstehe deine Wortschöpfungen am besten, ich bin diejenige, die als erste sieht, was du Neues gelernt hast, die dich in- und auswendig kennt und trotzdem jeden Tag von dir in Staunen versetzt wird. Du bist meine Erstgeborene, der Mensch, der mich zur Mama gemacht hat.
Ja, in dieser schwülen Juli-Nacht vor zwei Jahren wurde nicht nur ein Kind geboren – gleichzeitig kamen eine Mama und ein Papa zur Welt, und eine kleine Familie entstand. Wir haben mit dir gemeinsam den ersten Atemzug getan, in dieses neue Leben mit dir. Zusammen mit dir gehen wir immer wieder die allerersten Schritte, stolpern, fallen hin und stehen wieder auf.
Es gibt Tage, da flutscht alles und wir springen vergnügt durch dieses wunderbare Leben, da ist einfach alles perfekt und ich denke, dass ich in den letzten zwei Jahren doch irre viel gelernt hab! Und dann gibt es auch Tage, da fühle ich mich wieder wie damals im Krankenhaus, als ich (noch) keine Milch für dich hatte und du so dünn warst und so verzweifelt schriest und ich betete: „Gott, ich kann das nicht!“ Das sind Tage, an denen mir klar wird, dass wir weiterhin unterwegs sind, dass es immer wieder tausend kleine und große Erste-Male gibt, dass ich keine „Expertin“ bin. Eher ein Greenhorn. Aber die „Ausbildung“ zur Mama dauert nun mal ein Leben lang, kann nicht in drei Jahren abgeschlossen werden. Gott sei Dank.

Heute, an deinem Geburtstag, empfinde ich vor allem Dankbarkeit für dein Leben, für diese deine unsterbliche Seele, für dich.  Dass ich deine Mama sein darf, ist für mich ein unfassbar großes Geschenk.
Ich bin dankbar, dass du bist, wie du bist, unverwechselbar, einzigartig, wunderbar erdacht und gemacht. Es erfüllt mich mit Dankbarkeit (und zugleich mit Wut), dass du hier und jetzt in Frieden, Sicherheit und Wohlstand heranwachsen kannst – wo zeitgleich Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind und nicht wissen, was der morgige Tag bringen wird. Ich bin dankbar, und gleichzeitig weiß ich, dass wir zum Handeln aufgefordert sind, dass wir nicht bei uns stehen bleiben dürfen.
Und ich danke unserem Vater im Himmel, dass er uns bis hierher begleitet hat – dich als Kind und mich als Mutter. In den vergangenen 24 Monaten hat Er es mir durch dich nahegebracht, was es bedeutet, dass Gott mein Vater (und meine Mutter) ist und dass ich seine Tochter bin. Nie war ich näher dran an unserem großen Gott, der ein kleines Kind wurde und hier mit uns als Mensch lebte.
Du bist für mich ein Engel, weil du von Gott gekommen bist, weil er dich zu uns geschickt hat, mit ganz vielen Botschaften seiner Liebe und seinen Vorstellungen vom Leben auf dieser Erde.
Du hast zwar keine Flügel, aber eines Tages wirst du davonfliegen, in dein eigenes Leben.
Bis dahin begleiten wir dich, Schritt für Schritt, voll Staunen und Danken, und gehen gemeinsam weiter an der Hand des Vaters.

Happy birthday, mein Schatz!


Sonntag, 26. Juli 2015

Mut zur Lücke



Die Blogs anderer Frauen und  Mütter zu verfolgen, ist ermutigend und inspirierend. Sie geben mir viele Anregungen und Tipps für den Alltag mit kleinen Kindern, Anstöße zur Kreativität und so weiter. Da ist das Aquarium aus einer alten Müsli-Packung, ein fast vergessenes Kinderlied, Ideen für den Kindergeburtstag, der bei uns bald ansteht, ein Gedankensplitter zu Gottes Gegenwart in meinem Leben. Ich beginne, mir ganz neue Gedanken zu machen – über Konsum, Erziehung, Ehe, Freundschaft, Glaubensleben.
Im Grunde sind das sogar viel zu viele gute Dinge, die da auf mich einströmen… Ich kann das, was diese Blogs an Wertvollem ausspucken, eigentlich kaum verarbeiten. Vielleicht sollte ich mir mal eine Liste (oder besser: eine Tabelle) anlegen, in der ich all das sammeln und für den späteren Bedarf aufheben kann. Denn schließlich sind das alles Schätze, die nicht verlorengehen dürfen. Spielideen, die ich unbedingt ausprobieren muss. Rezepte, die für die Ernährung meiner Kinder von unschätzbarem Wert sind. Werte, die ich meinen Kindern vorleben und weitergeben muss, sollen sie wenigstens einigermaßen gut geraten…
Hier sind wir auch schon bei meinem Problem angekommen: Irgendwie fühle ich mich in Anbetracht der Fülle guter Anstöße und Gedanken ziemlich defizitär. Denn mein Leben scheint ganz anders zu sein: Nicht so bunt. Nicht so bewusst. Nicht so Jesus-durchdrungen. Nicht so voll Nächstenliebe. Nicht so kreativ. Nicht so engagiert.

Es ist beeindruckend – und das sage ich ganz unironisch, voll ehrlicher Bewunderung – was manche Menschen (und vor allem: MÜTTER) in der Lage sind, in 24 Stunden alles unterzubringen.
Meine Energie dagegen reicht gerade so zum Überleben. Ich bin froh über jeden Tag, an dem ich nicht ausflippe und meine Kinder anschreie. Wenn ich meinen Haushalt so einigermaßen schaffe, bin ich zufrieden. Dass der Draht zu meinem Ehemann und zu unserem Vater im Himmel noch besteht, erfüllt mich mit leisem Stolz und Dankbarkeit. Die Kinder sind satt und sauber, wenigstens das, denke ich, denn viel mehr kriege ich nicht hin. Oft habe ich das Gefühl, einfach nur zu funktionieren.
Soziales Engagement? – Voll wichtig, aber was und wie und vor allem: wann? Tolle Kreativprojekte? – Sehr gern, aber… und wie organisiere ich das mit zwei Kleinkindern? Umstellung unserer Ernährung auf Selbstversorgung bzw. regionale Biokost? – Wäre sicher wünschenswert, ist mir aber ohne Auto und Garten gerade nicht möglich. Klamotten selber nähen? – Wow, tolle Idee, aber so viel Aufwand, und dann bräuchte ich erstmal eine Nähmaschine. Unvergessliche Naturerlebnisse mit den Kindern? – Die hat vielleicht mein Mann, wenn ich ihn nach der Arbeit mit den Kindern rausschicke, um einen Blogeintrag schreiben zu können. Wenigstens das.

Irgendwas mache ich anscheinend falsch. Wahrscheinlich sogar ziemlich viel… Ich müsste mich besser organisieren, die Prioritäten neu ordnen, Abstriche an anderen Ecken (aber welchen?) machen. Blöd nur, dass das schon wieder nach ziemlich viel Arbeit klingt, für die ich – so fühlt es sich jedenfalls an – weder Zeit noch Energie übrig habe.
Bleibt mir wohl also nichts anderes übrig, als meine Defizite zu verwalten…

Ach, ich bin so erdrückend normal und lahm. Denn ich bin tatsächlich NUR Hausfrau und Mutter. Ok, und ein bisschen auch Bloggerin, aber das zählt nicht, weil das so viele andere neben ihren 1000 Aktivitäten auch noch machen.
Selbst wenn ich für meine Kinder Schulbrote schmieren würde, wäre ich sicher nicht dazu in der Lage, dies besonders kreativ zu tun und die Kunstwerke anschließend auch noch zu fotografieren. Wühlen im Dreck ist überhaupt nicht mein Ding und Tiere mag ich (ganz ehrlich) auch nicht besonders. Über einen grünen Daumen verfüge ich nicht, mir gehen sogar Kakteen ein, und zum (großartige Dinge) Basteln sind meine Kinder noch zu klein.
Manchmal finde ich das deprimierend.

Eigentlich weiß ich ja, dass wir alle mit Defiziten leben. Mit kleineren und größeren. Wir können nicht alles haben und schon gar nicht sofort. Nicht alles ist für jede von uns machbar, erreichbar, und vielleicht auch gar nicht erstrebenswert. Nur, weil Leute, die ich toll finde, aus Überzeugung ihre eigenen Tomaten ernten, muss ich das nicht auch unbedingt tun. Nur weil andere Kinder so viele Naturerlebnisse haben, im Freien schlafen und Rehkitze streicheln (oder so), können meine Kinder erstmal auch ohne solche Highlights auskommen.
Sicher, es gibt so vieles, was wertvoll wäre für meine Kinder, was es wert wäre, an sie weiterzugeben: Naturliebe, Ehrenamt, Museen, Bücher, Kreativität, verschiedene Sportarten, Bioessen, Ponyreiten, Angeln, Klettern, Kinderlieder, exotische Länder… aber, ganz ehrlich: Wir müssen doch alle eine Auswahl treffen, und tun das auch – mehr oder weniger bewusst. Wir tun eben das, was uns möglich ist, was wir wichtig finden, was für uns Priorität hat und uns Spaß macht. Wir können und MÜSSEN NICHT alles schaffen.

Ich verordne mir hiermit also ein bisschen Abstand von all den tollen Anregungen, DIY-Tipps und Ideen und tätschele mir beruhigend den Arm.
Denn erstens: Es kommen auch wieder andere Zeiten. Meine Kinder sind wirklich noch sehr klein, da ist es völlig ok, wenn wir nicht jeden Tag basteln oder eigene Zucchini züchten. Meine Kinder haben (das ist mein Gebet) noch einige Jahre Kindheit vor sich, die wir mit verschiedenen Aktivitäten, Hobbys und Erlebnissen füllen werden. Alles zu seiner Zeit.
Ich sage mir selbst: Geh einen Schritt nach dem anderen.
Überleg dir: Was ist JETZT für meine Kinder wichtig? Was ist GERADE drin – finanziell, kräftemäßig, interessehalber? Wie kann ich JETZT unsere gemeinsame Zeit gestalten? Nur darauf kommt es an, jetzt.

Zweitens: Wir geben unseren Kindern das mit, was uns selbst etwas bedeutet. Das geschieht oft ganz unbewusst. In meinem Fall könnte das die Liebe zu Büchern und zur Kreativität, zur Kunst sein, außerdem Gastfreundschaft und die Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinde mit allem, was dazugehört. Meine Leidenschaft für Kenia und Ungarn und Fremdsprachen. Interesse an Geschichte und gesellschaftspolitischen Fragen. Singen. Spaziergänge. Bahnfahren statt mit dem Auto.
In anderen Familien wird viel Wert auf gesunde Ernährung und Sport gelegt, anderen gelten Bildung und Wissen als höchstes Gut. Die einen fotografieren ihre Brotboxen, die nächsten gehen mit der ganzen Familie zum Fußball und wieder andere erkunden bei jedem Wetter die Natur. Manche Mütter gehen mit ihrem Säugling in die Kunstausstellung, andere nehmen die Kinder mit zu allen möglichen Gemeindeveranstaltungen oder zu ihrem ehrenamtlichen Engagement…
Diese Vielfalt ist wunderbar! Unsere Familie bildet eine Facette dieser Vielfalt, und muss nicht das ganze Spektrum abdecken.

Drittens: Kinder entdecken ihre Welt mehr und mehr selbst. Immer mehr Interessen und Möglichkeiten tun sich ihnen auf – zunächst in der Kita, später in der Schule und im Verein, ebenso in den Medien. Sie lernen Neues kennen und erschließen sich womöglich Welten, zu denen weder ihr Papa noch ich so wirklich Zugang finden. Vielleicht wird meine Tochter völlig unerwartet Leistungssportlerin oder geht als Schreinerin auf die Walz. Und unser Sohn könnte Börsenmakler werden(Gott bewahre!), Anthropologe im Amazonas-Gebiet oder Professor für Sinologie… Was ich damit sagen will: Unsere Kinder gehen möglicherweise weit über das hinaus, was wir ihnen vorgelebt und angeboten haben. Diese Perspektive beunruhigt mich zwar ein bisschen, auf der anderen Seite befreit sie mich auch ungemein.

Und viertens: Manche Defizite lohnt es sich zu füllen. Aber niemand kann an fünf Baustellen gleichzeitig schuften. Such dir lieber eine aus, an der du arbeiten möchtest – einen Bereich in deinem Leben, für den du dir am meisten Wachstum wünschst. Wenn es dir tief drinnen ein schlechtes Gewissen macht, konventionell hergestellte und gehandelte Waren zu konsumieren, überleg dir, wie du Schritt für Schritt zu einem nachhaltigeren und fairen Lebensstil kommen kannst. Wünschst du dir mehr Sportlichkeit in deiner Familie, dann arbeite daran, peu à peu mehr Bewegung ins Familienleben zu bringen. Sprich mit deinem Mann darüber und auch mit deinen Freunden. Geh mit deinen Überlegungen ins Gebet. Und wenn du dir nicht sicher bist, was gerade wirklich dran ist - Lass dir ins Herz geben, woran Gott in deinem Leben arbeiten möchte.
Das ist es, was ich gerade tue. Ich will stille werden und auf meinen Gott warten. Auf diese Weise halte ich die Ansprüche in ihrer überwältigenden Gesamtheit immerhin etwas auf Abstand.

Wir sind wir, und das dürfen wir auch sein.
Wir bleiben nicht wir, wir verändern uns, und das ist gut so.
Wir gehen weiter, wir bleiben nicht stehen.
Wir lassen uns inspirieren, und manches lassen wir auch...
Wir sind so frei!





Dienstag, 21. Juli 2015

Bücherliebe #3: Ferienspezial!



Die Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe, hinterließen bei mir keine bleibenden Spuren – deshalb habe ich in der Kategorie Bücherliebe schon länger keinen Eintrag mehr verfasst.
Aber vielleicht sucht die eine oder der andere von euch noch Ferienlektüre, und deshalb stelle ich euch hier fünf meiner Lieblingsbücher vor – zwei davon habe ich zusammen mit meinem Mann gelesen und er war hellauf begeistert!


Reise im Mondlicht von Antal Szerb
(Ungarische Originalausgabe: Utas és holdvilág, von Szerb Antal, 1937)

„In der Eisenbahn ging noch alles gut. Es begann in Venedig, mit den Gäßchen.“

Dieser Roman ist sozusagen der literarische Soundtrack unserer Abschlussfahrt mit dem Kunst-LK nach Italien. Ich weiß zwar nicht mehr, welche meiner Mitschülerinnen das Buch überhaupt mitgebracht hatte, aber wir lasen es zu dritt und waren total gefangen von der Geschichte und der meisterhaften Sprache. Meistens las ich vor und die anderen hörten mir zu. Und unsere ungarische Freundin half uns, die Namen richtig auszusprechen.
Reise im Mondlicht beginnt mit einer Hochzeitsreise nach Italien. Der 36-jährige Mihály [das l wird nicht gesprochen] möchte seine unkonventionelle Jugend endlich hinter sich lassen und „seriös“ werden; für dieses Vorhaben scheint seine junge Ehefrau Erzsi die Richtige zu sein. Doch als die beiden in Italien ankommen, begegnet Mihály ausgerechnet einem seiner Jugendfreunde. Die Geister seiner Vergangenheit lassen ihn nicht los. So „verliert“ er seine Frau an einem kleinen Bahnhof und reist allein weiter, um die Geheimnisse seiner Jugend zu lüften und Frieden zu finden, natürlich geht es dabei auch um eine Frau, seine allererste: Éva…
Antal Szerbs Roman ist ein wunderbares Buch mit einem ganz besonderen Zauber, den man erlebt haben muss. Reise im Mondlicht habe ich schon mehrere Male gelesen, besonders wegen seines eleganten und dabei witzigen Stils – und ich kann es einfach nur empfehlen.


Die No. 1 Ladies‘ Detective Agency von Alexander McCall Smith
(1998; Auf Deutsch: Ein Krokodil für Mma Ramotswe)

“Mma Ramotswe had a detective agency in Africa, at the foot of Kgale Hill. These were its assets: a tiny white van, two desks, two chairs, a telephone, and an old typewriter. Then there was a teapot, in which Mma Ramotswe – the only lady private detective in Botswana – brewed redbush tea. And three mugs – one for herself, one for her secretary, and one for the client. What else does a detective agency really need? Detective agencies rely on human intuition and intelligence, both of which Mma Ramotswe had in abundance. No inventory would ever include those, of course.”

Vor ein paar Jahren schenkte mir einer meiner Cousins einen Band aus der Mma-Ramotswe-Reihe zum Geburtstag und schon nach den ersten Seiten war ich vom Botswana-Fieber gepackt. Inzwischen gibt es zehn oder elf Bände (oder vielleicht noch mehr) über die erste und einzige Privatdetektivin Botswanas, auch in deutscher Übersetzung. Es ist eine leichte, warmherzige und witzige Lektüre über eine wahre Menschenkennerin, ihren Verlobten (und späteren Ehemann) Mr. J.L.B. Matekoni, die beiden Adoptivkinder, ihre Sekretärin Mma Makutsi und ihre Klienten. Die Fälle, die an Precious Ramotswe herangetragen werden, sind nicht besonders spektakulär, aber ihre Art und Weise diese zu lösen, ist einzigartig und wunderbar. Ganz nebenbei lernt man auch noch Botswana kennen, dieses unbekannte südafrikanische Land – und das ganz ohne zu verreisen!
Wenn man ein Buch fürs Herz sucht, das einen zum Schmunzeln bringt, ist man mit einem Band über die No. 1 Ladies‘ Detective Agency gut beraten.


Jeder stirbt für sich allein von Hans Fallada
(1946)

„Die Briefträgerin Eva Kluge steigt langsam die Stufen im Treppenhaus Jablonskistraße 55 hoch. Sie ist nicht etwa deshalb so langsam, weil sie ihr Bestellgang so sehr ermüdet hat, sondern weil einer jener Briefe in ihrer Tasche steckt, die abzugeben sie hasst, und jetzt gleich, zwei Treppen höher, muss sie ihn bei Quangels abgeben.“

Hans Falladas großartigen Roman, den er in nur wenigen Wochen niederschrieb, haben Falko und ich gemeinsam gelesen, und er hat uns beide tief berührt. Die Handlung beruht auf historischen Tatsachen: Ein unscheinbares Berliner Ehepaar wagte einen mutigen und zugleich sinnlosen Aufstand gegen das NS-Regime, an das sie nach dem Tod ihres einzigen Sohnes im Krieg nicht mehr glauben konnten. Sie schrieben Postkarten mit Anti-Kriegs-Parolen und legten sie in Berliner Hausfluren aus. 1943 wurden sie dafür hingerichtet.
Es ist ein trauriges und schweres Buch – auf der einen Seite. Fallada selbst schreibt im Vorwort: „Mancher Leser wird finden, dass in diesem Buche reichlich viel gequält und gestorben wird.“ Auf der anderen Seite beschreibt der Autor seine Figuren, die Postkartenschreiber Anna und Otto Quangel und ihren Gegenspieler Kommissar Escherich sowie alle anderen, so schonungslos, mit viel trockenem Humor, dass die Thematik niemals erdrückend wirkt.
Wir haben uns natürlich oft gefragt: „Was hätten wir getan?“ – und so fordert uns Jeder stirbt für sich allein dazu auf, uns damit auseinanderzusetzen, wie wir den Missständen unserer Zeit begegnen.


The Tiger’s Wife von Téa Obreht
(2011, Auf Deutsch: Die Tigerfrau)

„In my earliest memory, my grandfather is bald as a stone and he takes me to see the tigers.”

Die Autorin Téa Obreht, übrigens nur wenig älter als ich (grummel…), entführt uns in den Balkan, noch gezeichnet von den Wirren und Wunden des Krieges. Als die junge Ärztin Natalia erfährt, dass ihr Großvater unter ungeklärten Umständen irgendwo weit von Zuhause verstorben ist, begibt sie sich auf Spurensuche. Mit Hilfe der Erzählungen ihres Großvaters kommt sie seinem letzten Ziel Stück für Stück näher: Offensichtlich suchte er den „unsterblichen“ Mann, der ihm während seines Wirkens als Arztes immer und immer wieder begegnete und dem es einfach nicht möglich war, zu sterben. Natalia gerät an die Grenze des Erklärbaren, taucht ein in den Aberglauben und die Mythologie ihrer Heimat, nicht zuletzt in der Geschichte um die junge Frau, die die Frau des Tigers gewesen sein soll…
The Tiger’s Wife ist (in meiner Lese-Erfahrung jedenfalls) kein ganz unkompliziertes Buch. Die unterschiedlichen Stränge der Geschichte müssen sorgfältig in der Hand gehalten werden, um sie nicht zu verlieren. Wenn einem das gelingt, lohnt sich die Lektüre auf jeden Fall. Besonders deshalb, weil der Roman uns in eine Welt befördert, die eigentlich vor unserer Haustür liegt und uns doch so fremd erscheint.



Stadt der Diebe von David Benioff
(2008, In der Originalausgabe: City of Thieves)

Mein Großvater, der Messerstecher, tötete zwei Deutsche, bevor er achtzehn war. Ich erinnere mich nicht, dass es mir jemand erzählt hätte – ich schien es einfach schon immer zu wissen, so wie ich wusste, dass die Yankees bei Heimspielen Nadelstreifen trugen und auswärts Grau. Aber ich wusste es nicht von Geburt an. Wer erzählte es mir?“

Sorry - noch ein Buch, das zur Zeit des Zweiten Weltkrieges spielt. Aber: Es ist vollkommen anders. Es ist eine echte Abenteuergeschichte.
Stadt der Diebe spielt in Leningrad, während der deutschen Belagerung der Stadt. Es ist bitterkalt. Es gibt kaum etwas zu essen. Dann fällt ein Deutscher vom Himmel. Als der junge Lew dessen Leiche nach etwas Essbarem durchsucht, wird er verhaftet. Der Tod ist ihm sicher – doch dann erhalten er und der vermeintliche Deserteur Kolja eine eigentlich unlösbare Aufgabe: Sie sollen für die Hochzeit der Tochter des Oberst zwölf Eier besorgen, und damit ihr eigenes Leben retten. So beginnt ein verrücktes Abenteuer, total spannend und dabei noch witzig. Dass das Ende der Geschichte absehbar ist, tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch.
Auch dieser Roman ist für Männer geeignet – meinem Lieblingsmann jedenfalls hat er sehr gut gefallen.



Dies sind meine Lektüre-Tipps für den Sommer – viel Spaß dabei und liebe Grüße!

PS: Wenn euch vor kurzem ein tolles Buch über den Weg gelaufen ist, teilt doch die Lese-Erfahrung mit mir. Ich bin immer auf der Suche nach Lesefutter!


Sonntag, 19. Juli 2015

Ein Kind wird gesegnet



Heute durften wir den zahlreichen Highlights dieses Jahres noch ein weiteres hinzufügen und unseren Sohn in der Gemeinde segnen lassen. Wir haben uns (wie schon bei unserer Tochter) entschieden, Samuel  (noch) nicht taufen zu lassen, damit er diese Entscheidung eines Tages selbst und bewusst treffen kann. Es war aber unser Wunsch, ihn der Gemeinde offiziell „vorzustellen“ und ihn unter den Segen Gottes zu stellen. 


Samuel mit der Mütze, die sein Onkel ihm aus Ecuador mitgebracht hat

Gute Freunde und die Familie aus nah und fern reisten extra an, sodass unser kleiner Gottesdienstraum trotz Ferienbeginn gut gefüllt war. Schon allein diese Tatsache machte mich sehr glücklich: Dass unser Sohn schon jetzt so geliebt ist, von so vielen Menschen – die ihn bis heute teilweise noch gar nicht gesehen hatten! Dass Samuel Menschen in seinem Leben hat, die ihn willkommen heißen und dafür einiges auf sich nehmen, die ihm „die Ehre erweisen“ und ihn segnen möchten.

Wir hatten für den heutigen Tag einen Vers aus dem biblischen Buch ausgewählt, dessen Name unser Sohn trägt, 2. Samuel 22, 2: „Der Herr ist mein Fels und meine Burg und mein Erretter.“ Ich weiß nicht, ob es meinem Mann genauso geht, aber bei diesen Worten denke ich immer sofort an unseren Portugal-Urlaub vor ein paar Jahren und an die Festungsanlage, in der wir eine Nacht verbrachten. Hinter meterdicken Mauern, hoch oben auf einem starken Fels. Sicher geborgen. So wie bei Gott – bei ihm finden wir Schutz und Sicherheit, und alles, was wir zum Leben brauchen. In der Burg gab es zum Beispiel auch eine große Zisterne mit Wasservorräten, die wohl für mehrere Monate der Belagerung ausgereicht hätten. Wenn wir durstig sind, bekommen wir bei Gott Wasser (und bei ihm ist es nicht abgestanden, sondern frisch aus der Quelle!). Wenn wir müde und abgekämpft sind, können wir hier Ruhe finden. Wenn die Schlacht verloren scheint und wir am Ende sind, kommt er uns zur Hilfe und errettet uns.



Nach dem Gottesdienst blieben wir mit unseren Gästen in der Gemeinde und feierten Samuels besonderen Tag gleich dort weiter. Zuerst war ich enttäuscht, weil es genau zur Mittagszeit heftig zu schütten begann und wir unseren ursprünglichen Plan, draußen im Garten zu essen, verwerfen mussten. Dann halfen aber alle mit, es drinnen schön und gemütlich zu machen, und es war letztlich sehr gut so. Ein Jugendlicher aus unserer Gemeinde grillte für uns alle – auch das hat mich sehr berührt, dass er seinen Sonntag für uns opferte und für uns als Familie diesen Dienst tat.
Die Tisch-Deko war praktisch und einfach, aber wirklich schön: Die Blumen in den Blumentöpfen bekommen morgen ihr neues Zuhause auf unserem Balkon, mit den Duplo-Steinen konnte man ein bisschen bauen, und gemeinsam mit den Ritter-Sport-Würfeln in den Organza-Säckchen auf jedem Platz passten sie ganz gut zum Burg-Motto aus Samuels Segnungsvers. Auf den Tischen hatte ich außerdem wasserfeste Stifte ausgelegt, mit denen die Duplo-Steine beschriftet werden konnten – mit lauter guten Wünschen für das Leben unseres Sohnes.



Nach dem Mittagessen kam doch noch die Sonne raus und die Kinder konnten im Garten toben. Meine Große ist sehr unabhängig und spielte mit ihren Cousinen und den anderen Gästen bis zur vollkommenen Erschöpfung – sobald wir nach der Feier im Bus saßen, war sie eingeschlafen :) Ich genoss es, mich mal in Ruhe mit Freundinnen und Verwandten zu unterhalten, da Samuel liebevoll herumgetragen und versorgt wurde. Und am Schluss packten alle mit an, die Gemeinderäume in ihren ursprünglichen Zustand zu verwandeln.

Das war ein wunderbarer Tag, Samuel, der uns noch lange in Erinnerung bleiben wird und von dem wir dir viel erzählen werden! Wir sind unendlich dankbar für dich.