Heute Nachmittag saß ich mit einer Freundin auf der Wiese,
trank einen Iced Caramel Macchiato und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen.
Es war so schön und ich ganz unbeschwert, bis meine Freundin mir von einem
neuen Fernsehformat auf Vox berichtete: „Mein
Kind, dein Kind – wie erziehst du denn?“ Bei dieser vierzehntägig
ausgestrahlten Sendung vergleichen und beurteilen zwei Mütter gegenseitig ihre
Erziehungsstile; ein Zuschauer-Panel (die „Experten“? höhö…) bewertet
zusätzlich die Erziehungsmethoden beider Familien. Kurz gesagt: Öko-Mamas und Drill-Mütter, Homöopathie-Gläubige und Anhängerinnen der Schulmedizin, Übermütter und Superlockere werden
aufeinander losgelassen. Es ist fast wie im richtigen Leben, nur mit einem
größeren Publikum. The horror!
Mit Noemis Geburt vor bald zwei Jahren betrat ich eine
völlig neue Welt. Eine Welt voll von Windeln (Stoffwindeln oder Pampers?),
Babynahrung (Flasche oder Brust?), medizinischen Fragen (Homöopathie oder
Schulmedizin? Impfen oder nicht?) und Erziehungsmethoden (laissez faire oder
harte Hand?). Eine Welt der Uneindeutigkeiten: Zu jedem Thema gab es unendlich
viele Meinungen, die einander meistens vollkommen ausschlossen. Was für die
einen das Paradies ist, ist für die anderen die Hölle. Wer sein Kind impft, ist
verantwortungslos – wer es nicht tut, aber auch. Muttermilch ist das Beste für
ein Baby – und wenn es mit dem Stillen nicht gleich klappt, geben einem drei
Stillberaterinnen fünf gegensätzliche Tipps. Kinderärzte und Hebammen stehen,
wie ich bald merkte, auf Kriegsfuß miteinander – viele Mütter aber auch mit dem
einen oder der anderen.
Jetzt, bei meinem zweiten Kind, verunsichert mich die Fülle
an Ansichten und Methoden nicht mehr so stark. Wir haben das alles ja schon
einmal durch. Während ich bei Noemi jedes ausbleibende Bäuerchen googelte, hab
ich bei Samuel noch kein einziges Mal Dr. Internet befragt, und werde es wohl
auch nicht mehr tun (denn das einzige, was man dort findet, sind noch mehr
widersprüchliche Aussagen. Und die Verunsicherung wächst….). Was bleibt, ist
die Gewissheit, dass man es niemals hundertprozentig „richtig“ machen kann.
Leider – beziehungsweise: natürlich. Denn in dieser Welt ist aber auch rein gar
nichts perfekt. Auch Mütter nicht.
Bald beginnt mein drittes Jahr als Mutter – das letzte „Ausbildungsjahr“,
sozusagen. In den letzten beiden Jahren habe ich viel erlebt und viel gelernt.
Was mir aber nach wie vor schwer fällt, ist der Umgang mit anderen Mamas. Sie
verunsichern mich. Ich fühle mich so oft beurteilt, beäugt und bewertet. Und
bin mir bewusst, dass auch ich diesen kritischen Blick drauf habe: Warum zieht sie ihrem Kind keine Mütze auf –
der Wind ist doch viel zu kalt! – Diese Frau ist ja sowas von inkonsequent! –
Soll ich ihr sagen, dass sie ihr Kind auf keinen Fall so in der Manduca tragen darf? Es bekommt
davon ja einen Rückenschaden fürs Leben! Ich will mir gar nicht vorstellen,
was sie über mich denken, über meinen Erziehungsstil, die Ernährung meiner
Kinder, meine alltäglichen Entscheidungen. Eigentlich könnte es mir vollkommen
egal sein; so wie es mir auch egal ist, was andere über meine Frisur oder meine
Klamotten denken (jedenfalls an den guten Tagen). Aber als Mutter, mit der
Verantwortung für ein anderes, kleines Leben, ist das ganz anders. Da bin ich
total empfindlich. Und extrem unsicher.
Dieses Gedicht habe ich einige Monate nach Noemis Geburt
verfasst. Es greift einige meiner Erfahrungen auf; Sätze, die ich zu hören
gekriegt habe. Und es handelt von meiner Sehnsucht danach, dass wir Mütter füreinander da sind und nicht gegeneinander. Daran arbeite ich, und dafür möchte ich einstehen: Dass wir aufhören, einander in "gute Mütter" und "schlechte Mütter" einzuteilen. Dass wir miteinander endlich Frieden schließen.Und dass es solche Sendungen wie die auf Vox in Zukunft nicht mehr gibt.
Krieg der Mütter
Kann sie denn schon krabbeln, eure Kleine?
Warst du deswegen mal beim Arzt mit ihr?
Also, ich an deiner Stelle…
Da würde ich mir schon Gedanken machen.
Kochst du den Brei für sie nicht selber?
(Naja, meistens schon, eigentlich…)
Das wäre ja viel gesünder als diese Gläschenkost.
Ist doch kein Wunder,
dass sie so platt daliegt,
wenn du nicht mal mit ihr übst.
Ich trainiere ja jeden Tag mit meiner Tochter
Das Krabbeln.
Ich gehe mit meiner jetzt zum Babyschwimmen,
damit sie keine Wasserphobie entwickelt,
das ist echt das Allerbeste
für die Kinder!
Unserer wächst ja zweisprachig auf,
ist doch so wichtig für die Chancen auf dem Arbeitsmarkt!
Da kann man ja gar nicht früh genug mit anfangen.
Und wir gehen auch zum Musikunterricht
(richtig, sie ist 8 Wochen alt)
(richtig, sie ist 8 Wochen alt)
Außerdem zum Baby-Yoga, PEKiP, Babytöpfern und zur
Babymassage.
Du musst dein Baby jeden Tag massieren,
zwanzig Minuten lang,
sonst fühlt es sich nicht geliebt,
das machen die Mütter in Indien auch.
Du musst dich vor deinem Kind zusammenreißen!
Negative Gefühle sind ganz schlecht für die Kinder.
Was, du hast die Feindiagnostik nicht machen lassen?
Willst du denn gar nicht wissen…
Also, ich würde ja, an deiner Stelle…
Ist das nicht ein bisschen früh?
Ist sie nicht ganz schön hintendran?
Meine Kinder konnten zu dem Zeitpunkt alle schon…
Naja, eure ist eben etwas langsamer.
Solche muss es ja auch geben.
Trag dein Kind immer eng am Körper,
damit es sich emotional optimal entwickelt.
Tragen Sie Ihr Kind nicht im Tragetuch –
Das gibt nur Rückenschäden, bei Ihnen und beim Kind.
Aha, dein Kind ist also nicht geimpft?
Das ist doch völlig unverantwortlich!
Was, du hast dein Kind gegen alles impfen lassen?
Das ist total verantwortungslos!
Wie bitte, du stillst dein Kind nicht?
Weißt du denn nicht, dass Muttermilch das Allerbeste für Kinder ist?
Was, du stillst noch?
Das ist ja schon ganz schön merkwürdig…
Gib dem Kind doch einen Schnuller,
damit es endlich aufhört zu brüllen!
Warum gibst du dem Kind denn den Schnuller,
weißt du denn nicht,
dass das schädlich ist für die Zähne
und dass das Kind davon eine Saugverwirrung bekommt?
Willst du nicht langsam mal wieder arbeiten gehen?
Wozu hast du denn bitte studiert?
(Nicht arbeitende Mütter sind einfach nur zu faul…)
Ach, du bist jetzt schon wieder zurück im Job,
dein Kind ist doch erst ein halbes Jahr alt!
Wofür hast du denn bitteschön überhaupt ein Kind gekriegt?
(Arbeitende Mütter sind karrieregeil und egoistisch…)
Ich habe ja gehört…
Meine Hebamme sagt…
Der Kinderarzt meinte aber…
Da gibt es ein ganz tolles Buch…
Auf keinen Fall darf man…
Und du musst am besten immer…
Naja, du machst das bestimmt richtig.
Aber ich an deiner Stelle…
Ich genieße ja das Muttersein total,
alles klappt super,
ist doch einfach nur schön, oder?
Da musst du jetzt eben durch.
Das ist halt so.
Du solltest es echt genießen!
Heulen hilft jetzt auch nichts.
Du musst das locker sehen.
Sei doch mal dankbar.
Reiß dich zusammen.
Rabenmütter.
Glucken.
Helikopter-Eltern.
Wir kämpfen jeden Tag
Gegen die Müdigkeit
Gegen Unordnung und Dreck
Und manchmal auch
Gegen Läuse
Wir führen unermüdlich Kämpfe
Ums Aufräumen
Und ums Zähneputzen
Um eine ruhige Minute für uns allein
Wir schlafen zu wenig
Und sorgen uns zu viel
Wir haben unendlich viel zu tun
Und eigentlich gar keine Zeit
Wir sind ständig erschöpft
Und ohne Energie –
Und trotzdem
Reicht es noch dazu:
Uns gegenseitig
Zu beäugen
Zu kritisieren
Zu beurteilen
Zu kategorisieren
Zu bewerten
Dabei
Sind wir doch alle
Mamas
Lieben unsere Kinder
Und wollen für sie nur
Das Beste
Darum
Lasst uns Frieden schließen
Mit uns selbst
Und miteinander
Lasst uns
Einander die Hände reichen
Anstatt Erziehungsratgeber
Einander wirklich sehen
Anstatt uns zu mustern
Einander unterstützen
Anstatt uns runterzumachen
Einander verstehen
Anstatt uns Dinge zu unterstellen
Einander unser wahres (müdes) Gesicht zeigen
Anstatt Masken zu tragen
Lasst uns
Mütterlich sein
Auch zueinander
Denn das sind wir doch
alle
Mamas
Und gemeinsam unterwegs
In diesem großen Abenteuer:
Mama-sein