"Der Turm der blauen Pferde", hier gezeichnet von Marcel van Eeden |
Gestern Nachmittag war ich tatsächlich mal total spontan (!)
und entführte meine noch-nicht-ganz-aber-fast-vierjährige Tochter in eine
Kunstausstellung. Ich hatte die Ausstellung zu Franz Marcs verschollenem
Gemälde Der Turm der blauen Pferde schon
seit März sehen wollen und ergriff nun die sich bietende Gelegenheit,
Alleine-Zeit mit meinem Mädchen zu verbringen (mein Liebster widmete sich währenddessen
seinem neuen Hobby, dem Bier brauen, und versorgte unseren Sohn).
Noemi war auch gleich Feuer und Flamme für diese Idee – vor allem,
als ich ihr erzählte, dass in der Ausstellung auch Pferde zu sehen sein würden!
Während der etwa einstündigen Bus- und U-Bahnfahrt zum Haus
am Waldsee in Zehlendorf unterhielten wir uns über dies und das, und ich
versuchte, meine Tochter auf den Ausstellungsbesuch vorzubereiten. Ich erzählte
ihr, dass das Bild Der Turm der blauen
Pferde nach dem großen Krieg verschwunden sei und verschiedene Künstler sich
nun vorstellten, was mit dem Bild passiert sein könnte. Wir sprachen darüber,
dass es falsch ist, Bilder wegzunehmen, schlecht zu reden oder gar zu
zerstören, nur weil sie einem nicht gefallen oder man den Maler nicht mag –
vielmehr möchten wir andere loben und Gutes über ihre Bilder sagen, ihnen Respekt entgegen bringen - ziemlich grundlegend und alltagsnah für mein Kindergartenkind.
Wir genossen es beide total, uns mal ausgiebig und in Ruhe
unterhalten zu können! In unserem normalen Alltag reden wir natürlich auch
miteinander, aber meistens springt der kleine Bruder auch noch irgendwo herum
und es ist schwer, meine Aufmerksamkeit ungeteilt einem Kind zukommen zu
lassen. Ich wollte die Zeit nutzen, mich meiner Großen vollkommen zuzuwenden: sie
intensiv anzuschauen, zu hören, was sie beschäftigt und dem nachzuspüren, wer
sie ist.
Rückansicht der Villa "Haus am Waldsee" |
Gleich das erste Werk der Ausstellung beeindruckte Noemi sehr:
Eine zerfetzte, angekokelte Leinwand mit zerbrochenem Rahmen. Der Künstler
Norbert Bisky hatte für dieses Werk den Turm
der blauen Pferde zunächst originalgetreu
nachgemalt und anschließend eigenhändig zerstört – ein Symbol für die
Zerstörung avantgardistischer Kunst durch die Nationalsozialisten.
Vor diesem „kaputten Bild“ standen wir eine ganze Weile und
sprachen darüber, wie gemein es ist, Bilder so zu zerstören. Schließlich sind
die Geschmäcker unterschiedlich und es macht Menschen traurig, wenn etwas
zerstört wird, womit sie sich viel Mühe gegeben haben. Ich erzählte meiner
Tochter auch, dass es eine Zeit in Deutschland gab, als böse Menschen an der
Macht waren, die keine andere Meinung gelten ließen als ihre und die alle
einsperrten und sogar töteten, die anderer Meinung waren. Dabei beließ ich es
aber vorerst – mehr wird Noemi nach und nach erfahren.
Endlich kamen wir zu dem „echten“ Pferd! Leider durften wir
es nicht streicheln… Und außerdem war es mit ein paar Pfeilen durchbohrt – das tut
doch weh!
Highlight der Ausstellung: Ein ausgestopftes "blaues" Pferd von Via Lewandowsky |
Noch einmal das Pferd, mit Reliefs von Arturo Herrera im Hintergrund |
Wir sahen uns auch den Rest der Ausstellung an – eine
vielfach vergrößerte Staubfusel vom Schreibtisch Adolf Hitlers, riesengroße
Gemälde mit kleineren und größeren Pferden, eine Serie bunter Holzreliefs.
Meine Tochter machte alles gut mit und posierte bereitwillig vor allen
Skulpturen und Bildern.
Erst jetzt fiel mir ein, dass ich Papier und Stifte vergessen hatte - wie gern hätte ich mich mit meinem malbegeisterten Mädchen auf eine der Besucherbänke gesetzt und unsere Eindrücke aufs Papier gebracht... Daran muss ich beim nächsten Mal unbedingt denken!
Noemi ahmt die Pose eines Pferdes auf einem der vier Gemälde von Martin Assig nach |
"Vaterland - jetzt wieder verfügbar" von Birgit Brenner |
Glücklicherweise war die Ausstellung aber nicht allzu groß,
sodass wir schon bald zum kulinarischen Teil des Ausflugs übergehen konnten: Im
Museumscafé gab es gerade noch ein allerletztes Stück Schokokuchen für meine kleine
Schokoladenliebhaberin (und ein Stück Cheesecake für mich).
Das Wetter war angenehm mild, sodass wir Kuchen und
Cappuccino draußen im Garten der Villa genießen konnten. Natürlich nicht
ohne vorher lautstark „Für dich und für mich ist der Tisch gedeckt“ gerappt und
uns an den Händen haltend einen guten Appetit gewünscht zu haben! Ja, wir
fielen schon ein bisschen auf unter all den Rentner/innen :)
Kuchenpause (mit Cappuccino für Mama) im Garten der Villa |
Als der Kuchen verspeist war, flitzte mein Mädchen los – so ein
großer, schöner Garten war da zu entdecken! Sie galoppierte lachend und jubelnd
über die Wiese, quasi als unser Ausstellungsbeitrag: Eines der blauen Pferde
hat sich von der Leinwand befreit und genießt zum ersten Mal grünes Gras unter
den Hufen und ein laues Lüftchen in der Mähne :D
Endlich rennen! |
Auch diese "Leuchtreklame" von Tobias Rehberger gehörte zur Ausstellung |
Allzu lange konnten wir leider nicht mehr in dem schönen Garten bleiben - die Männer warteten schon und wir hatten noch einen weiten Rückweg vor uns. Ich spürte, wie mich der Nachmittag bei allem Schönen auch angestrengt hatte (hochsensibel, ja...) und wie mein Mädchen in der S-Bahn zunehmend hibbelig wurde. Was ich aber auf keinen Fall wollte, war Schimpfen und Stress in den letzten Momenten unseres Ausflugs - das hätte die wunderschöne Zeit zerstört.
Gott sei Dank wurde ich mir dieser Gefahr bewusst - und Gott sei Dank konnte ich gegensteuern. Zuerst spielten wir ein paar Runden "Ich sehe was, was du nicht siehst", dann ein paar Minuten "Schnick, schnack, schnuck" (was habe ich doch für eine große Tochter!) und zum Schluss schauten uns zusammen die Fotos des Nachmittags auf der Kamera an. Ganz lustig und entspannt - Gott sei Dank! Und dann mussten wir auch schon aussteigen...
Das versäumte Malen holten wir einfach vor dem Schlafengehen am Esstisch nach: Ich holte meine guten Buntstifte raus und wir zeichneten, was wir miteinander erlebt hatten. So ging ein ereignisvoller Nachmittag kreativ zu Ende.
Unser kreativer Tagesausklang :) |
Das war eine sehr wertvolle Zeit für meine Tochter und mich:
Wir redeten und wir schwiegen.
Ich konzentrierte mich ganz auf sie und ging ganz auf sie ein.
Es gab keine Tränen, kein Schimpfen, keine Enttäuschung.
Ich sagte ihr, was ich alles an ihr liebe.
Sie sagte mir, wie doll sie mich lieb habe.
Wir liefen die ganze Zeit Hand in Hand.
Ich durfte von ihrem Schokokuchen probieren.
Wir fragten uns die gleichen Fragen.
Wir freuten uns über das schöne Wetter.
Wir lachten laut in der S-Bahn und waren sooo albern.
Nur wir beide, du und ich.
Danke, meine Große, für diese unvergesslichen Stunden mit dir!