Montag, 7. Juli 2014

Von freien Elektronen und vollen Atomen



Oder: Ein Partyprotokoll

Wenn man mit einem Physiker verheiratet ist, muss man manchmal (für Geisteswissenschaftler) ungewöhnliche Beispiele wählen, um aktuelle Gemütszustände zu beschreiben. Gestern Abend gelang mir das scheinbar ganz gut, denn endlich erntete ich das heißersehnte Verständnis meines Mannes. Und das kam so:
Wir fuhren von einer wunderschönen Feier nach Hause, voll von Eindrücken und – in meinem Fall – mit Tränen in den Augen. Tränen, weil ich mich trotz meiner 27 Lebensjahre noch immer viel zu oft unsicher in meiner Haut fühle. Weil ich den Eindruck hatte, missverstanden und einfach nicht gemocht zu werden. Weil ich einfach nicht so locker und „cool“ und überhaupt so bin wie „die anderen“. Weil ich nicht dazu gehörte. Weil ich einsam war, viel zu allein unter so vielen Menschen.
Oder um es mit den Worten eines Physikers zu sagen: Weil ich mich oft so fühle wie ein einzelnes Elektron, winzig und bindungsfreudig, das durch einen Raum schwirrt auf der Suche nach einem Atom, das es aufnimmt. Aber während ich so fliege, werde ich entweder abgestoßen von irgendwelchen negativen Ladungen oder alle verfügbaren Plätze im Atom sind schon belegt…  So bleibe ich, das kleine einsame Elektron allein und verziehe mich irgendwann, viel zu früh, in mein Bett, um am nächsten Morgen (natürlich) das Beste verpasst zu haben und mich (wieder) ausgeschlossen und allein zu fühlen.
Es ist einfach immer dasselbe auf solchen Veranstaltungen. Ich freue mich auf das Wiedersehen mit bekannten Gesichtern, ich beteilige mich voller Herzblut an den Vorbereitungen, ich versuche, mich hübsch zu machen. Dann beginnt das Fest und ich merke schon, dass es nicht so leicht für mich ist, Anschluss zu finden, aber solange ich etwas zu tun habe, geht es noch. Und dann ist da auch noch Noemi, die mich auf Trab hält und die viele Türen für mich öffnet. Doch irgendwann geht das Kind ins Bett und ich habe wieder beide Arme frei. Falko seinerseits ist ständig damit beschäftigt, auf Leute zuzugehen und sie kennenzulernen (was ich ja grundsätzlich auch gut finde, auf jeden Fall, aber dann bin ich umso einsamer). Das offizielle Programm ist vorbei, die Gäste scharen sich ums Feuer, sitzen an ihren Tischen zusammen oder stehen an der Bar. Manche tanzen auch schon, aber das ist nicht meine Musik. Mein Mann schaut gerade nach dem Kind. Ich stehe dumm rum. Ich bestelle eine Apfelschorle und halte mich an meinem Glas fest. Ich gehe auf eine mir bekannte Person zu, die sich plötzlich umdreht und weggeht. (Keine böse Absicht, da bin ich mir sicher) Ich setze mich neben meinen Vater an die Bar. Schweigen. Falko ist wieder zurück, wir tanzen einen Walzer und einen Cha-Cha-Cha, danach kommen irgendwelche Tänze, die wir nicht können. Ich stehe wieder abseits. Ich stelle fest, dass es nach Mitternacht ist und es vernünftiger wäre, bald schlafen zu gehen, denn wer weiß, wann Noemi morgens wach wird. Meine Cousins tanzen wild auf der Tanzfläche. Sie haben sicherlich schon ein paar Bier getrunken (im Gegensatz zu mir, die ich, mal wieder, keinen Alkohol trinken darf). Ich traue mich nicht, wild auf der Tanzfläche herumzuhüpfen. Bei mir sieht das scheiße aus. Ich gehe kurz raus ans Feuer, wo alle anderen ins Gespräch vertieft sind. Trotz des Feuers fressen mich die Mücken auf, ich gehe wieder rein. Die Musik ist zu laut, um sich zu unterhalten. Und außerdem: Mit wem auch? Mein Bruder und meine Schwägerin tanzen Jive. Meine Eltern packen ihre Sachen zusammen. Falko und ich gehen schlafen. Von draußen dröhnen Partymusik, Gelächter und Gesprächsfetzen herein. Ich schlafe trotzdem sofort ein.
Am nächsten Morgen trifft sich ein Teil der Abendgesellschaft am Frühstückstisch. Wir haben schon etwas früher gegessen, weil wir bereits um sieben Uhr von unserer quietschfidelen Tochter aufgestanden wurden. Es wird geplaudert über dies und das, was wer um vier Uhr morgens gemacht hat, als wir uns längst in der zweiten Tiefschlafphase befanden. Ich habe nichts zum Gespräch beizutragen und außerdem ist Noemi quengelig. Als der Platz am Tisch knapp wird, gebe ich meinen Stuhl freiwillig auf. Ich hatte mich ohnehin nicht wohl gefühlt. Ich gehöre nicht hierher. Ich bin nicht so wie die anderen. Ich komme einfach nicht gut an. Und ich komme auch nicht rein, in diese Gruppe.

Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt, habe zwei Hochschulabschlüsse, Berufserfahrung, einen Ehemann und ein Kind, unter Schmerzen geboren. Ich habe eine Hochschulgruppe geleitet und eine Horde von Teenagern betreut, die mich liebt. Ich war ein Dreivierteljahr in Kenia, habe dort eine Klasse von 50 Schülern unterrichtet, habe vor vollen Kirchen Lieder in Ilchamus und Kiswahili gesungen und vor einer ganzen Schule gepredigt. Ich habe im Ausland studiert und gar nicht so schlecht Ungarisch gelernt. Ich gehörte zu den Gewinnern eines Schreibwettbewerbs. Und ich habe noch ein paar andere Talente. Meine Tochter wird bald ein Jahr alt und ich habe es bis hierher geschafft, dass sie glücklich und gesund und munter ist. Und für die ich so ziemlich die Tollste bin. Ich habe Freunde, ganz wunderbare, und es gibt schon ein paar Menschen, die mich mögen (warum auch immer).
Warum also fühle ich mich immer noch wie ein Teenager, die nicht weiß, wer sie ist und auch nicht, wohin sie gehört? Warum habe ich mich noch immer nicht mit dem Menschen, der ich nun einmal bin, angefreundet, warum fällt es mir nach wie vor schwer, „einfach ich selbst“ zu sein und damit zufrieden? Warum strebe ich wie eh und je nach der Anerkennung von Menschen, lechze nach deren Lob und Bestätigung, sehne mich danach zum Kern der angesagten Leute dazuzugehören? (Vor allem wenn das nicht mal unbedingt die Leute sind, die ich selbst am meisten mag….)
Ja, es ist eigentlich ziemlich bescheuert.
Und doch lassen sich meine negativen Gefühle nicht einfach abstellen. Sie sind real und gehören für mich zu Festen und Feiern leider dazu, wie auch das schicke Outfit oder die Torte. Vielleicht lerne ich irgendwann damit umzugehen. 

Um noch einmal auf die Atome und Elektronen zurückzukommen (damit Falko mich auch versteht :) ): Ich wünsche mir für Falko, Noemi und mich, dass wir als Familie so ein Atom sind, das frei herumschwirrende, einsame Elektronen gern aufnimmt. Dass auf unserer äußeren Schale (und auch auf den inneren) immer noch ein paar Plätze frei sind, dass wir uns gern verbinden mit anderen und Beziehungen bauen – auch solche, die länger halten als nur für einen lustigen Abend. 

 
PS: Es sollte nun einfacher sein, einen Kommentar zu hinterlassen - probiert es doch einfach mal aus, ich würde mich freuen!