Oder: Ein Partyprotokoll
Wenn man mit einem Physiker verheiratet ist, muss man
manchmal (für Geisteswissenschaftler) ungewöhnliche Beispiele wählen, um
aktuelle Gemütszustände zu beschreiben. Gestern Abend gelang mir das scheinbar
ganz gut, denn endlich erntete ich das heißersehnte Verständnis meines Mannes.
Und das kam so:
Wir fuhren von einer wunderschönen Feier nach Hause, voll
von Eindrücken und – in meinem Fall – mit Tränen in den Augen. Tränen, weil ich
mich trotz meiner 27 Lebensjahre noch immer viel zu oft unsicher in meiner Haut
fühle. Weil ich den Eindruck hatte, missverstanden und einfach nicht gemocht zu
werden. Weil ich einfach nicht so locker und „cool“ und überhaupt so bin wie „die
anderen“. Weil ich nicht dazu gehörte. Weil ich einsam war, viel zu allein
unter so vielen Menschen.
Oder um es mit den Worten eines Physikers zu sagen: Weil ich
mich oft so fühle wie ein einzelnes Elektron, winzig und bindungsfreudig, das durch
einen Raum schwirrt auf der Suche nach einem Atom, das es aufnimmt. Aber
während ich so fliege, werde ich entweder abgestoßen von irgendwelchen
negativen Ladungen oder alle verfügbaren Plätze im Atom sind schon belegt… So bleibe ich, das kleine einsame Elektron
allein und verziehe mich irgendwann, viel zu früh, in mein Bett, um am nächsten
Morgen (natürlich) das Beste verpasst zu haben und mich (wieder) ausgeschlossen
und allein zu fühlen.
Es ist einfach immer dasselbe auf solchen Veranstaltungen. Ich
freue mich auf das Wiedersehen mit bekannten Gesichtern, ich beteilige mich
voller Herzblut an den Vorbereitungen, ich versuche, mich hübsch zu machen.
Dann beginnt das Fest und ich merke schon, dass es nicht so leicht für mich
ist, Anschluss zu finden, aber solange ich etwas zu tun habe, geht es noch. Und
dann ist da auch noch Noemi, die mich auf Trab hält und die viele Türen für
mich öffnet. Doch irgendwann geht das Kind ins Bett und ich habe wieder beide
Arme frei. Falko seinerseits ist ständig damit beschäftigt, auf Leute zuzugehen
und sie kennenzulernen (was ich ja grundsätzlich auch gut finde, auf jeden
Fall, aber dann bin ich umso einsamer). Das offizielle Programm ist vorbei, die
Gäste scharen sich ums Feuer, sitzen an ihren Tischen zusammen oder stehen an
der Bar. Manche tanzen auch schon, aber das ist nicht meine Musik. Mein Mann
schaut gerade nach dem Kind. Ich stehe dumm rum. Ich bestelle eine Apfelschorle
und halte mich an meinem Glas fest. Ich gehe auf eine mir bekannte Person zu,
die sich plötzlich umdreht und weggeht. (Keine böse Absicht, da bin ich mir
sicher) Ich setze mich neben meinen Vater an die Bar. Schweigen. Falko ist
wieder zurück, wir tanzen einen Walzer und einen Cha-Cha-Cha, danach kommen
irgendwelche Tänze, die wir nicht können. Ich stehe wieder abseits. Ich stelle
fest, dass es nach Mitternacht ist und es vernünftiger wäre, bald schlafen zu
gehen, denn wer weiß, wann Noemi morgens wach wird. Meine Cousins tanzen wild
auf der Tanzfläche. Sie haben sicherlich schon ein paar Bier getrunken (im
Gegensatz zu mir, die ich, mal wieder, keinen Alkohol trinken darf). Ich traue
mich nicht, wild auf der Tanzfläche herumzuhüpfen. Bei mir sieht das scheiße
aus. Ich gehe kurz raus ans Feuer, wo alle anderen ins Gespräch vertieft sind.
Trotz des Feuers fressen mich die Mücken auf, ich gehe wieder rein. Die Musik
ist zu laut, um sich zu unterhalten. Und außerdem: Mit wem auch? Mein Bruder
und meine Schwägerin tanzen Jive. Meine Eltern packen ihre Sachen zusammen.
Falko und ich gehen schlafen. Von draußen dröhnen Partymusik, Gelächter und
Gesprächsfetzen herein. Ich schlafe trotzdem sofort ein.
Am nächsten Morgen trifft sich ein Teil der
Abendgesellschaft am Frühstückstisch. Wir haben schon etwas früher gegessen,
weil wir bereits um sieben Uhr von unserer quietschfidelen Tochter aufgestanden
wurden. Es wird geplaudert über dies und das, was wer um vier Uhr morgens
gemacht hat, als wir uns längst in der zweiten Tiefschlafphase befanden. Ich
habe nichts zum Gespräch beizutragen und außerdem ist Noemi quengelig. Als der
Platz am Tisch knapp wird, gebe ich meinen Stuhl freiwillig auf. Ich hatte mich
ohnehin nicht wohl gefühlt. Ich gehöre
nicht hierher. Ich bin nicht so wie die anderen. Ich komme einfach nicht gut
an. Und ich komme auch nicht rein, in diese Gruppe.
Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt, habe zwei
Hochschulabschlüsse, Berufserfahrung, einen Ehemann und ein Kind, unter
Schmerzen geboren. Ich habe eine Hochschulgruppe geleitet und eine Horde von
Teenagern betreut, die mich liebt. Ich war ein Dreivierteljahr in Kenia, habe dort
eine Klasse von 50 Schülern unterrichtet, habe vor vollen Kirchen Lieder in
Ilchamus und Kiswahili gesungen und vor einer ganzen Schule gepredigt. Ich habe
im Ausland studiert und gar nicht so schlecht Ungarisch gelernt. Ich gehörte zu
den Gewinnern eines Schreibwettbewerbs. Und ich habe noch ein paar andere Talente.
Meine Tochter wird bald ein Jahr alt und ich habe es bis hierher geschafft,
dass sie glücklich und gesund und munter ist. Und für die ich so ziemlich die
Tollste bin. Ich habe Freunde, ganz wunderbare, und es gibt schon ein paar
Menschen, die mich mögen (warum auch immer).
Warum also fühle ich mich immer noch wie ein Teenager, die
nicht weiß, wer sie ist und auch nicht, wohin sie gehört? Warum habe ich mich
noch immer nicht mit dem Menschen, der ich nun einmal bin, angefreundet, warum
fällt es mir nach wie vor schwer, „einfach ich selbst“ zu sein und damit
zufrieden? Warum strebe ich wie eh und je nach der Anerkennung von Menschen,
lechze nach deren Lob und Bestätigung, sehne mich danach zum Kern der
angesagten Leute dazuzugehören? (Vor allem wenn das nicht mal unbedingt die
Leute sind, die ich selbst am meisten mag….)
Ja, es ist eigentlich ziemlich bescheuert.
Und doch lassen sich meine negativen Gefühle nicht einfach
abstellen. Sie sind real und gehören für mich zu Festen und Feiern leider dazu,
wie auch das schicke Outfit oder die Torte. Vielleicht lerne ich irgendwann
damit umzugehen.
Um noch einmal auf die Atome und Elektronen zurückzukommen
(damit Falko mich auch versteht :) ): Ich wünsche mir für Falko, Noemi und mich,
dass wir als Familie so ein Atom sind, das frei herumschwirrende, einsame
Elektronen gern aufnimmt. Dass auf unserer äußeren Schale (und auch auf den
inneren) immer noch ein paar Plätze frei sind, dass wir uns gern verbinden mit
anderen und Beziehungen bauen – auch solche, die länger halten als nur für
einen lustigen Abend.
PS: Es sollte nun einfacher sein, einen Kommentar zu hinterlassen - probiert es doch einfach mal aus, ich würde mich freuen!