Donnerstag, 23. April 2015

Krieg der Mütter



Heute Nachmittag saß ich mit einer Freundin auf der Wiese, trank einen Iced Caramel Macchiato und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Es war so schön und ich ganz unbeschwert, bis meine Freundin mir von einem neuen Fernsehformat auf Vox berichtete:  „Mein Kind, dein Kind – wie erziehst du denn?“ Bei dieser vierzehntägig ausgestrahlten Sendung vergleichen und beurteilen zwei Mütter gegenseitig ihre Erziehungsstile; ein Zuschauer-Panel (die „Experten“? höhö…) bewertet zusätzlich die Erziehungsmethoden beider Familien. Kurz gesagt: Öko-Mamas und Drill-Mütter, Homöopathie-Gläubige und Anhängerinnen der Schulmedizin, Übermütter und Superlockere werden aufeinander losgelassen. Es ist fast wie im richtigen Leben, nur mit einem größeren Publikum. The horror!

Mit Noemis Geburt vor bald zwei Jahren betrat ich eine völlig neue Welt. Eine Welt voll von Windeln (Stoffwindeln oder Pampers?), Babynahrung (Flasche oder Brust?), medizinischen Fragen (Homöopathie oder Schulmedizin? Impfen oder nicht?) und Erziehungsmethoden (laissez faire oder harte Hand?). Eine Welt der Uneindeutigkeiten: Zu jedem Thema gab es unendlich viele Meinungen, die einander meistens vollkommen ausschlossen. Was für die einen das Paradies ist, ist für die anderen die Hölle. Wer sein Kind impft, ist verantwortungslos – wer es nicht tut, aber auch. Muttermilch ist das Beste für ein Baby – und wenn es mit dem Stillen nicht gleich klappt, geben einem drei Stillberaterinnen fünf gegensätzliche Tipps. Kinderärzte und Hebammen stehen, wie ich bald merkte, auf Kriegsfuß miteinander – viele Mütter aber auch mit dem einen oder der anderen.

Jetzt, bei meinem zweiten Kind, verunsichert mich die Fülle an Ansichten und Methoden nicht mehr so stark. Wir haben das alles ja schon einmal durch. Während ich bei Noemi jedes ausbleibende Bäuerchen googelte, hab ich bei Samuel noch kein einziges Mal Dr. Internet befragt, und werde es wohl auch nicht mehr tun (denn das einzige, was man dort findet, sind noch mehr widersprüchliche Aussagen. Und die Verunsicherung wächst….). Was bleibt, ist die Gewissheit, dass man es niemals hundertprozentig „richtig“ machen kann. Leider – beziehungsweise: natürlich. Denn in dieser Welt ist aber auch rein gar nichts perfekt. Auch Mütter nicht.

Bald beginnt mein drittes Jahr als Mutter – das letzte „Ausbildungsjahr“, sozusagen. In den letzten beiden Jahren habe ich viel erlebt und viel gelernt. Was mir aber nach wie vor schwer fällt, ist der Umgang mit anderen Mamas. Sie verunsichern mich. Ich fühle mich so oft beurteilt, beäugt und bewertet. Und bin mir bewusst, dass auch ich diesen kritischen Blick drauf habe: Warum zieht sie ihrem Kind keine Mütze auf – der Wind ist doch viel zu kalt! – Diese Frau ist ja sowas von inkonsequent! – Soll ich ihr sagen, dass sie ihr Kind auf keinen Fall so in der Manduca tragen darf? Es bekommt davon ja einen Rückenschaden fürs Leben! Ich will mir gar nicht vorstellen, was sie über mich denken, über meinen Erziehungsstil, die Ernährung meiner Kinder, meine alltäglichen Entscheidungen. Eigentlich könnte es mir vollkommen egal sein; so wie es mir auch egal ist, was andere über meine Frisur oder meine Klamotten denken (jedenfalls an den guten Tagen). Aber als Mutter, mit der Verantwortung für ein anderes, kleines Leben, ist das ganz anders. Da bin ich total empfindlich. Und extrem unsicher.

Dieses Gedicht habe ich einige Monate nach Noemis Geburt verfasst. Es greift einige meiner Erfahrungen auf; Sätze, die ich zu hören gekriegt habe. Und es handelt von meiner Sehnsucht danach, dass wir Mütter füreinander da sind und nicht gegeneinander. Daran arbeite ich, und dafür möchte ich einstehen: Dass wir aufhören, einander in "gute Mütter" und "schlechte Mütter" einzuteilen. Dass wir miteinander endlich Frieden schließen.Und dass es solche Sendungen wie die auf Vox in Zukunft nicht mehr gibt.


Krieg der Mütter

Kann sie denn schon krabbeln, eure Kleine?
Warst du deswegen mal beim Arzt mit ihr?
Also, ich an deiner Stelle…
Da würde ich mir schon Gedanken machen.

Kochst du den Brei für sie nicht selber?
(Naja, meistens schon, eigentlich…)
Das wäre ja viel gesünder als diese Gläschenkost.

Ist doch kein Wunder,
dass sie so platt daliegt,
wenn du nicht mal mit ihr übst.
Ich trainiere ja jeden Tag mit meiner Tochter
Das Krabbeln.
Ich gehe mit meiner jetzt zum Babyschwimmen,
damit sie keine Wasserphobie entwickelt,
das ist echt das Allerbeste für die Kinder!
Unserer wächst ja zweisprachig auf,
ist doch so wichtig für die Chancen auf dem Arbeitsmarkt!
Da kann man ja gar nicht früh genug mit anfangen.

Und wir gehen auch zum Musikunterricht
(richtig, sie ist 8 Wochen alt)
Außerdem zum Baby-Yoga, PEKiP, Babytöpfern und zur Babymassage.
Du musst dein Baby jeden Tag massieren,
zwanzig Minuten lang,
sonst fühlt es sich nicht geliebt,
das machen die Mütter in Indien auch.

Du musst dich vor deinem Kind zusammenreißen!
Negative Gefühle sind ganz schlecht für die Kinder.
Was, du hast die Feindiagnostik nicht machen lassen?
Willst du denn gar nicht wissen…
Also, ich würde ja, an deiner Stelle…
Ist das nicht ein bisschen früh?
Ist sie nicht ganz schön hintendran?
Meine Kinder konnten zu dem Zeitpunkt alle schon…
Naja, eure ist eben etwas langsamer.
Solche muss es ja auch geben.

Trag dein Kind immer eng am Körper,
damit es sich emotional optimal entwickelt.
Tragen Sie Ihr Kind nicht im Tragetuch –
Das gibt nur Rückenschäden, bei Ihnen und beim Kind.

Aha, dein Kind ist also nicht geimpft?
Das ist doch völlig unverantwortlich!
Was, du hast dein Kind gegen alles impfen lassen?
Das ist total verantwortungslos!

Wie bitte, du stillst dein Kind nicht?
Weißt du denn nicht, dass Muttermilch das Allerbeste für Kinder ist?
Was, du stillst noch?
Das ist ja schon ganz schön merkwürdig…

Gib dem Kind doch einen Schnuller,
damit es endlich aufhört zu brüllen!
Warum gibst du dem Kind denn den Schnuller,
weißt du denn nicht,
dass das schädlich ist für die Zähne
und dass das Kind davon eine Saugverwirrung bekommt?

Willst du nicht langsam mal wieder arbeiten gehen?
Wozu hast du denn bitte studiert?
(Nicht arbeitende Mütter sind einfach nur zu faul…)
Ach, du bist jetzt schon wieder zurück im Job,
dein Kind ist doch erst ein halbes Jahr alt!
Wofür hast du denn bitteschön überhaupt ein Kind gekriegt?
(Arbeitende Mütter sind karrieregeil und egoistisch…)

Ich habe ja gehört…
Meine Hebamme sagt…
Der Kinderarzt meinte aber…
Da gibt es ein ganz tolles Buch…
Auf keinen Fall darf man…
Und du musst am besten immer…
Naja, du machst das bestimmt richtig.
Aber ich an deiner Stelle…

Ich genieße ja das Muttersein total,
alles klappt super,
ist doch einfach nur schön, oder?
Da musst du jetzt eben durch.
Das ist halt so.
Du solltest es echt genießen!
Heulen hilft jetzt auch nichts.
Du musst das locker sehen.
Sei doch mal dankbar.
Reiß dich zusammen.

Rabenmütter.
Glucken.
Helikopter-Eltern.
Wir kämpfen jeden Tag
Gegen die Müdigkeit
Gegen Unordnung und Dreck
Und manchmal auch
Gegen  Läuse
Wir führen unermüdlich Kämpfe
Ums Aufräumen
Und ums Zähneputzen
Um eine ruhige Minute für uns allein
Wir schlafen zu wenig
Und sorgen uns zu viel
Wir haben unendlich viel zu tun
Und eigentlich gar keine Zeit
Wir sind ständig erschöpft
Und ohne Energie –
Und trotzdem
Reicht es noch dazu:
Uns gegenseitig
Zu beäugen
Zu kritisieren
Zu beurteilen
Zu kategorisieren
Zu bewerten

Dabei
Sind wir doch alle
Mamas
Lieben unsere Kinder
Und wollen für sie nur
Das Beste

Darum
Lasst uns Frieden schließen
Mit uns selbst
Und miteinander

Lasst uns
Einander die Hände reichen
Anstatt Erziehungsratgeber
Einander wirklich sehen
Anstatt uns zu mustern
Einander unterstützen
Anstatt uns runterzumachen
Einander verstehen
Anstatt uns Dinge zu unterstellen
Einander unser wahres (müdes) Gesicht zeigen
Anstatt Masken zu tragen

Lasst uns
Mütterlich sein
Auch zueinander
Denn das sind wir doch
alle
Mamas
Und gemeinsam unterwegs
In diesem großen Abenteuer:
Mama-sein



Sonntag, 19. April 2015

Jadegrün und Honiggelb



Eine neue Wohnung eröffnet so viele Möglichkeiten! In den letzten Wochen habe ich mir unzählige Gedanken über die Einrichtung gemacht, wir haben über die Farben der Wände diskutiert, über alte und neue Möbel, und haben uns Wohnzeitschriften gekauft, um Anregungen zu sammeln. Ich machte Skizzen und freute mich wie Bolle über all die tollen Ideen.

Anfang dieser Woche bekamen wir den Schlüssel für unsere neuen vier Wände und vermaßen die Räume. Da war dann erst einmal Schluss mit all den schönen Träumen und Ideen – und die Realität holte mich ein: Unser neues Schlafzimmer ist so winzig, dass wir uns ein neues, kleineres Bett kaufen müssen – das jetzige passt dort nämlich nicht rein. Ob die Waschmaschine tatsächlich (wie vorgesehen) im Bad stehen kann, ist fraglich, sagt mein Schwiegervater, da die Anschlüsse recht ungünstig positioniert sind. Auch das Kinderzimmer wirkt, wenn man all die Möbel reinstellt, plötzlich total klein. Werden die Kinder darin überhaupt genug Platz zum Spielen haben? Viele meiner schönen Ideen scheitern also an den tatsächlichen Gegebenheiten – und natürlich an unserem Budget… Grmpf.

Meine Vorfreude schrumpfte im Lauf der Woche zusehends. Es machte mir auch keinen Spaß mehr, die Wohnzeitschriften durchzublättern und alle möglichen Einrichtungsvorschläge zu markieren. Denn diese Zeitschriften führten mir all die Mängel unserer neuen Wohnung vor Augen; all die Dinge, die bei uns nicht möglich sind, erstrahlten dort in begehrenswertem Glanz. Unzufriedenheit machte sich in meinem Herzen breit. Und ein bisschen Missgunst. Sorgen keimten auf: Werden wir uns wohlfühlen? Werden die Kinder genug Platz haben? Zweifel schoben sich in den Vordergrund meines Bewusstseins: Haben wir uns zu früh für diese Wohnung entschieden? Hätten wir nicht doch lieber weitersuchen sollen? Haben wir uns geirrt, und diese Wohnung ist doch kein Gottesgeschenk?

Gestern haben Falko und sein Vater Farben und allen möglichen Krams fürs Wohnung-Streichen besorgt. Das Kinderzimmer wird honiggelb, das Wohnzimmer kirschrot, unsere Küche erstrahlt demnächst in „Koralle“, der Essbereich in „Manhattan“,  und unsere Schlafzimmerwände soll ein Streifen in „Jade“ zieren. Wunderschöne Farben, von uns ausgewählt. Und ich freu mich so darauf! Die Aussicht auf Wände in traumhaften Tönen stimmt mich plötzlich hoffnungsvoll. Die Lust zu Gestalten kommt langsam wieder zu mir zurück.

Ja, unsere neue Wohnung ist nicht perfekt (ebenso wenig wie unsere aktuelle übrigens) – aber das war uns von Anfang an klar. Unsere neue Wohnung entspricht nicht den idealisierten Darstellungen in Einrichtungsmagazinen – na und? Wir haben keinen Goldesel auf dem Balkon stehen – brauchen wir aber auch nicht!
Jetzt, wo wir die genauen Maße kennen, können wir endgültig planen und Lösungen finden, die zu uns und den Bedingungen der neuen Wohnung passen. Ich kann neue Ideen spinnen und ausprobieren, was geht. Und wie so oft nehme ich mir heute wieder neu vor, mich auf das Positive zu konzentrieren und für das Gute in meinem Leben dankbar zu sein. Da gibt es so viel, allein in Bezug auf unser neues Zuhause: 

  • Wir bekommen eine Spülmaschine, einen tollen neuen Ofen, einen Herd mit Dunstabzug und Schränke, die sich nach oben hin öffnen (sodass ich mir den Kopf nicht mehr an Schranktüren stoßen werde, yayy!)
  • Die Kinderschlepperei in den vierten Stock hat ein Ende – im neuen Haus gibt’s einen Aufzug.
  • Wir haben eine Badewanne!
  • Die Kinder bekommen ein eigenes Zimmer und Falko und ich haben unser Schlafzimmer (bald…) wieder für uns.
  • Das Wohnzimmer hat einen separaten Essbereich – ich freu mich auf einen neuen, großen Esstisch, an dem viele Gäste Platz finden und an dem ich mich allein oder mit Noemi kreativ austoben kann!
  • Ich freu mich auf die frischen, fröhlichen Farben an den Wänden.
  • Und auf das Gefühl von Freiheit und die tolle Aussicht im siebten Stock (auf Wolke sieben sozusagen….)!

Das alles erinnert mich daran, dass auch die neue Wohnung mein gelobtes Land ist. Mit gewissen Bedingungen und Grenzen, ja, aber auch ganz vielen Möglichkeiten und Spielräumen. Gott geht mit, dessen können wir uns sicher sein. Mehr noch: Er wartet dort schon auf uns, mit weit ausgebreiteten Vaterarmen, und bereitet allerhand Gutes für uns vor. Das zu entdecken, darauf freue ich mich!

Und die ollen Zeitschriften schmeiß ich am besten direkt in den Müll, denn die machen mich nur unglücklich…

Donnerstag, 16. April 2015

All day flawless





Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt,
so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.
2. Korinther 4, 16b

Um die Spuren der Müdigkeit auf meinem Gesicht ein kleines bisschen zu überdecken, habe ich mir neulich im Drogeriemarkt meines Vertrauens ein neues Make-up gekauft, mit dem verheißungsvollen Namen “All day flawless”. (Keine Angst, ich werde euch jetzt keine Beauty-Tipps geben! Dafür bin ich definitiv die Falsche.) Den ganzen Tag perfekt, makellos, fehlerfrei. Das ist doch mal was! Was für ein Versprechen.
All day flawless – gibt es das vielleicht auch für mein Herz? Einen ganzen Tag lang ohne Ungeduld, ohne Wut, ohne ungerechte Worte, ohne Genervtheit; einen ganzen Tag lang perfekte Mama sein? Liebevoll, geduldig, freundlich, weise – und das 24 Stunden lang… Ein Traum!

Aber dann dachte ich, dass so eine aufgemalte Perfektion letztlich auch nichts bringt. Natürlich kann ich alle Pickel, Fältchen und Unreinheiten überpinseln, sodass man sie nicht mehr so deutlich sieht. Aber verschwinden werden sie davon auch nicht. Spätestens, wenn ich mich abschminke, werde ich ja doch wieder mit der hässlicheren Variante meiner selbst konfrontiert.
Und Make-up fürs Herz? Klar, in der Öffentlichkeit zeige ich mich nicht unbedingt so, wie ich wirklich bin. Da reiße ich mich doch zusammen, übertünche meine Verletztheit und Hilflosigkeit schnell mit einem Lächeln. Da bringe ich die ehrliche Stimme mit der Mahnung, was die anderen über mich denken könnten, schnell zum Schweigen. Und auch meine Mitmenschen machen es so. Bei einigen hat man das Gefühl, sie hätten ihr Herz mit mehreren Schichten Concealer dick übermalt, sodass man den Menschen darunter kaum noch wahrnehmen kann.

Make-up fürs Herz? Ich glaube, da bräuchte ich dann doch eher eine Schönheits-OP... beziehungsweise eine Transplantation. Eine Grunderneuerung, und zwar jeden Tag. Dass Gott mein steinernes Herz herausnimmt und mir dafür ein Herz aus Fleisch und Blut gibt, ein gesundes, ein lebendiges.

Die gute Nachricht lautet: Er tut es tatsächlich! Bei ihm ist das nicht nur ein Werbeversprechen, ein flotter Spruch, der uns zum Kauf animieren soll. Gott macht kein Geschäft mit unserem Streben nach Perfektion, sondern er nimmt unsere Sehnsucht nach Heilung ernst. Er sieht unsere tiefe Not, er erkennt, wie wir an uns selber leiden, an dem, was wir anderen antun und sie uns. Da gibt es nichts von Ratiopharm und da hilft auch kein Pflaster. Wir stehen alle auf der Spenderliste. Wir brauchen tatsächlich ein neues Herz.

Bisher war dieser Tag ein guter Tag. Ich habe noch nicht gebrüllt oder meine Tochter angemeckert. Ich habe mich noch nicht geärgert, war noch kein bisschen gestresst oder überfordert oder ungeduldig. Es ist erst halb sieben am Morgen und ich bin noch im Schlafanzug. Meine Kinder schlafen noch.
Aber bald werden sie aufwachen und weinen und ihr Frühstück wollen. Auch heute werden Noemi und ich (wahrscheinlich) wieder unseren Kampf am Fuß der Treppe ausfechten und Samuel mich mit seinem schrillen Kreischen schier in den Wahnsinn treiben. Heute ist ein ganz normaler Tag. Da muss ich mir gar nichts vormachen – auch wenn mein Make-up mir „all day flawless“ ins Ohr säuselt.

Woran ich mich aber heute erinnern möchte ist, dass Gott mir in Jesus jede Minute eine Grunderneuerung anbietet. Dass ich jeden Augenblick wieder neu beginnen kann, weil er mir vergibt. Wenn ich zu ihm rufe, wird er mir nicht das neuste Make-up samt Schwämmchen zuwerfen. Er wird mich einladen, zum Kreuz zu kommen und meinem Erlöser zu begegnen. Er wird meine Schuld, die so groß ist, von mir nehmen und sie ins tiefste Meer werfen. Er wird mich nicht billig abspeisen und dann verlassen. Ich weiß, dass er immer bei mir ist, dass er mich – und auch die Herzen meiner Kinder – in seinen guten Vaterhänden hält. Gehe zurück auf Start und erhalte ein neues Herz


Mittwoch, 15. April 2015

Engelsschwester

Heute war mal wieder einer dieser Tage… an denen weder Locken noch Drohen, weder Schreien noch Motivieren bewirken, dass meine große Tochter die Treppe allein und in einem angemessenen Tempo erklimmt…an denen beide Kinder grundsätzlich gleichzeitig schreien… an denen der Kleine ausgerechnet dann lebensbedrohlichen Hunger bekommt, wenn ich mir den ersten Bissen in den Mund schieben will… an denen mein Vorsatz, alles positiv und locker zu sehen, keine fünf Minuten Wirklichkeit überdauert… an denen ich nur über eines froh bin, nämlich dass in unserem Land strenge Waffengesetze gelten und ich keinen Revolver unterm Kopfkissen habe…
Heute war mal also wieder einer dieser Tage, an denen ich mich schämte für die Mutter, die ich bin – für meine Wut, für mein Schreien, für meine Grobheit.

Ich schämte mich so sehr, dass ich nicht einmal dich sehen wollte, die du doch so oft schon meine Rettung gewesen bist. Du bist, wie sogar mein Mann neulich feststellte, vielleicht der Mensch, der mich am allerbesten kennt: meine Schwester. Meine einzige. Heute wollte ich dich nicht sehen, weil mich niemand so sehen sollte, weil ich so unansehnlich war. Und gleichzeitig sehnte ich mich so sehr danach, dass mich jemand ansah…

Wir schrieben in paar Nachrichten hin und her (übrigens schreibe ich mit niemandem so viel auf WhatsApp wie dir…)und dann riefst du mich an. Zuerst wollte ich nicht ran gehen, weil ich genauso wenig reden wollte wie gesehen werden, aber dann tat ich es doch, weil ich mich so danach verzehrte, gehört zu werden… Und dann redeten wir und ich heulte und du verstandst und dann sprachen wir plötzlich über was ganz anderes und ich fühlte mich schon besser.
Währenddessen lag Sammy neben mir auf seiner Decke und strahlte mich an wie das süßeste Baby auf der ganzen Welt. Das wurde mir ganz plötzlich bewusst. Und ich bemerkte auch, dass er sich nach einem Spielzeug ausstreckte und gewisse Ambitionen hatte, sich zur Seite zu drehen! Ich schaute aus dem Fenster und da war die Sonne und strahlend blauer Himmel.

Es war auf einmal ein ganz anderer Tag geworden – nur durch deine Stimme, durch deine Ohren, durch deine Augen, die mich sahen. Und was deine Augen wahrnahmen, war etwas ganz anderes als das, was meine zu sehen in der Lage waren: Sie sahen eine Mama, die einfach übermüdet ist und die dafür Verständnis verdient. Sie sahen eine sensible Person mit (tatsächlich!) positiven Eigenschaften.
Dann kamst du vorbei und alles war wieder ganz einfach. Wir gingen raus in den Sonnenschein, schlürften Frappuccino und kauften Schuhe, und Seifenblasen für Noemi. Meine Tochter war wieder das schönste und lustigste Mädchen des Universums. Mein Sohn das friedlichste Baby, das man sich vorstellen kann. Und ich die entspannteste und stolzeste Mama aller Zeiten. Und das alles deinetwegen!

Auch jetzt, wo du schon längst gegangen bist und ich diesen Text schreibe mit Samuel auf dem Schoß, dauert dieses Gefühl noch an: dass ich es gut mache mit den Kindern und eine liebe Mama bin, dass das Leben schön ist und meine Kinder die wunderbarsten von allen sind.
Du hast uns heute die Dankbarkeit gebracht und die Sonne.
Du hast mir ein Pflaster auf mein wundes Mamaherz geklebt,
und meiner Tochter die wütenden Mamaworte weggeküsst.
Du warst mir heute so viel mehr als eine Schwester – und dabei ist das ja auch schon nicht wenig!
Du warst mir mehr als eine Freundin – und das allein wäre eigentlich mehr gewesen als ich verdiene.
Du bist mir heute ein Engel gewesen, wie schon so oft.

Meine schöne, kluge Engelsschwester.
Du bist einfach wunderbar und ich hab dich unheimlich lieb!

Danke!

Dienstag, 14. April 2015

Bücherliebe #2 No country



Den Roman, den ich euch heute vorstellen möchte, und der zu einem meiner Lieblingsbücher geworden ist, habe ich vor ein paar Monaten hauptsächlich aus diesem Grund gekauft: Er ist dick. Über 500 Seiten stark, das ist für mich ein gutes Argument! Ich kaufe lieber dicke Bücher, denn da bekommt man mehr für sein Geld und hat länger was davon. Vorausgesetzt natürlich, der Roman ist gut (denn dicke und schlechte Bücher sind wiederum furchtbar!).
Für das Lesen habe ich einige Zeit gebraucht – habe einige Kapitel geradezu verschlungen, während ich an anderen ein bisschen länger kaute – aber in meinem kurzen Greifswald-„Urlaub“ letzte Woche habe ich No country zu Ende gelesen. Und war traurig, dass es „schon“ vorbei war. Das ist doch mal ein gutes Zeichen. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass ich diesen Roman noch einmal lesen werde, mindestens…


No country

Von Kalyan Ray, 2014
(soweit ich weiß, existiert noch keine deutsche Übersetzung)

Der erste Satz: They lay together as if they had just disengaged from a long embrace.

Lieblingssätze:  “Someday I will meet my papa, I know, in no country where time exists. Won’t that be something!” // “Will your not believing make it untrue?” // “a human being descended, who knows, from how many sources, the product of so many lineages which are unknown to us and will forever remain unknown. […] We are all related: Our mortality is our one common nation.”

Darum geht’s:
New York, 1989: Ein indisches Ehepaar wird in seinem Bett ermordet. Wer sind diese beiden Liebenden? Wer ist ihr Mörder, und warum hat er diese Tat begangen?
Die Antworten auf diese Fragen nehmen ihren Anfang auf einem anderen Kontinent, zu einer ganz anderen Zeit: Irland, 1843. Die beiden Freunde Brendan und Padraig werden auf schicksalshafte Weise getrennt: Padraig verschlägt es nach Indien, während Brendan von der verheerenden Hungersnot gezwungen wird, nach Kanada aufzubrechen. Werden die beiden sich jemals wiedersehen? Denn was Padraig nicht weiß: Er hat eine Tochter, Maeve, für die Brendan in der alten und neuen Heimat ein Ziehvater wird.
Die Handlung entfaltet sich nach und nach in Irland und Indien, in Kanada und den USA, auf dem Land und in der Stadt; für kurze Augenblicke verschlägt es uns nach Italien und nach Odessa, zwischendurch auf ein Schiff und sogar auf einen Eisberg… Als Leser begleiten wir unterschiedliche Personen auf ihrem Lebensweg und erleben auf diese Weise Weltgeschichte – die große Migration von Iren in die neue Welt, Indien in seinem Kampf um Unabhängigkeit – und kleinere und größere menschliche Konflikte: Mütter und Töchter, Väter und Söhne, Zwillingsbrüder; Freundschaften, Liebesgeschichten, Verluste.
Und schließlich geht es Kalyan Ray in seinem Roman um die ganz großen Fragen der Menschheit: Wer sind wir und wo kommen wir her? Was bedeutet es, eine Nation zu sein, zu einer Nation zu gehören? Was macht unsere Identität aus?

Was mir an dem Roman gefällt:

  • Der Protagonist des ersten Kapitels ist ein Ungar, und es wird ein ungarischer Satz zitiert (noch dazu richtig, soweit ich das beurteilen kann)! Für mich als Ungarnliebhaberin war das wie ein gutes Omen!
  • Das Buch beginnt mit dem Tod und endet mit der Ankündigung auf neues Leben. Auf dieselbe Weise umschließen der erste Satz und die letzten Worte des Romans: „all together“ die Handlung perfekt.
  • Ich liebe die vielen unterschiedlichen Settings – Kontinente, Epochen, Kulturen. Innerhalb weniger Sätze gelang es dem Autor, mich an diesem neuen Ort, in der neuen Handlung ankommen zu lassen. Vielleicht gefällt mir No country auch deshalb so gut, weil es mir das Reisen ermöglicht, welches meine Lebensumstände gerade nicht so zulassen…
  • Das Lesen dieses Romans ist ein bisschen wie puzzeln. In jedem Kapitel werden uns neue Teile gereicht – einige können wir sofort an die richtige Stelle setzen, andere müssen wir beiseitelegen, bevor sich uns ihre korrekte Position im Ganzen offenbart. Trotzdem fand ich mich in der Handlung immer gut zurecht.
  • No country passt zu den Herausforderungen, denen sich unser Land gerade stellen muss: Wie gehen wir mit den Flüchtlingen um, die zu uns kommen? Wer gehört zu uns; was bedeutet es, eine Nation zu sein? Ist es überhaupt möglich, von „uns“ und „den anderen“ zu sprechen – wenn wir in Wahrheit alle auf unterschiedlichste, oft unsichtbare Art und Weise verbunden sind? Wir sind alle Menschen, das antwortet der Roman auf unsere Fragen, mit Sehnsüchten, Ängsten, Verlusten, Lieben.


Fazit:
Lesen, auf jeden Fall!