Samstag, 2. April 2016

Gestatten: Meine depressive Begleiterin




Mein letzter Eintrag ist nun schon wieder über eine Woche her (eine ungewöhnlich lange Zeit für meine Verhältnisse…) und da wollte ich mich doch mal wieder melden – besonders weil ihr mir so viel Verständnis entgegengebracht und mich ermutigt habt! Dafür sage ich euch von Herzen DANKE!
Es geht mir vielleicht schon etwas besser, auf jeden Fall anders als noch vor einer Woche. Die Wut ist verraucht, ich habe mich ein bisschen beruhigt. Geblieben ist die Traurigkeit. Und wenn ich hinhöre, in mein Innerstes, dann fühle ich mich leer. Und müde. Ein bisschen sogar lebensmüde, denn mir erscheint in manchen Augenblicken alles sinnlos und hohl. Ich habe auf nichts Lust, das Lachen klingt oberflächlich, und ich bin mir selbst spinnefeind.

Ich kenne solche Phasen (ganz besonders vor meinen Tagen…) schon seit einigen Jahren, genauer gesagt seit der Teenagerzeit. Melancholie und Depression liegen in meiner Familie, und ich weiß, dass ich da ein Päckchen mitbekommen habe, so wie wir alle irgendetwas mit uns herumschleppen. Seit ich ein Kind habe, ist es schlimmer geworden. Nach der Geburt meiner Tochter weinte und (ver)zweifelte ich so viel; ich kam in den ersten Monaten überhaupt nicht mit dem neuen Leben als Mama zurecht – das war mehr als „nur“ ein Baby Blues… Seitdem kommen die depressiven Phasen immer wieder. Mal sind sie kürzer, dann wieder dauern sie länger und sind sehr dunkel. Und dann sind sie wieder vorbei und mir geht es gut und ich verstehe das düstere Gekritzel in meinem Tagebuch selbst nicht mehr. Dass das wirklich ich bin…

Die Depression (ich nenne meinen Zustand jetzt einfach so, auch wenn es keine offizielle Diagnose gibt und es mir dafür vielleicht noch viel zu gut geht) gehört zu meinem Leben dazu. Es ist nicht schön oder toll, sich so niedergeschlagen und müde zu fühlen, und es ist auch nicht gerade leicht, zuzugeben, dass es so ist. Aber ich bin mir sicher, dass es eine heilsame Wirkung hat, ehrlich zu seinen Schwächen und dunklen Punkten zu stehen, sich so zu zeigen, wie man ist.
Mir wird erst nach und nach bewusst, dass ich ein sehr intensiv empfindender Mensch bin. Ich beobachte meine Tochter und erkenne mich selbst in ihr: Wir beide nehmen sehr viele Eindrücke auf, bemerken Dinge, die anderen entgehen. Wir können uns schnell und stark begeistern. Wenn wir glücklich sind, drohen wir zu platzen. Wenn wir traurig sind, ist dieses Gefühl absolut. Wir bleiben bei bestimmten Sätzen oder Situationen hängen und können uns schwer davon lösen. Wir „steigern uns rein“. Zu Tode betrübt – und himmelhochjauchzend, das kenne ich auch!
Das intensive Fühlen und Erleben: Das gehört auch zu mir und zu meiner Depression.

So gehe ich weiter, jeden Tag, und ich fühle, dass es langsam wieder aufwärts geht.
Dazu trägt die Sonne einen großen Teil bei – sobald das Wetter sich bessert, zieht meine Laune nach. In der Natur sein tut mir gut. Sonne tanken, Farben genießen, Frühling atmen.

Und: Nicht allein bleiben.
Wenn ich in meinem dunklen Seelenloch sitze, möchte ich am liebsten niemanden sehen; ich möchte allein mit meinen Gedanken und Gefühlen bleiben, weil ich überzeugt bin, dass mich sowieso niemand mögen kann. Wie gut, dass ich einen Mann habe, und Kinder, die mich nicht in Ruhe lassen, die mir den absoluten Rückzug nicht erlauben! Gott sei Dank gibt es Freundinnen, die mit mir in der Sonne spazieren und auch die Schattengespräche nicht scheuen!
Mich mit liebenden Menschen umgeben, mich ablenken lassen, mich anderen zumuten – das hilft.

Und: Aufgaben erfüllen.
Mir war diese Woche überhaupt nicht nach arbeiten, aber mein Mann bestand darauf, seine freien Tage damit zu nutzen, unsere Ess-Ecke frisch zu streichen. So wurde nichts aus meinem Plan, mich tagelang im Bett zu verkriechen und meinem Elend hinzugeben! Ich musste weitermachen: musste mit in den Baumarkt, den Pinsel schwingen, die Kinder bespaßen und den ganz normalen Aufgabenberg bewältigen.
Das passte mir überhaupt nicht, war aber letztlich förderlicher als mein ursprüngliches Vorhaben… (Unsere Ess-Ecke ist jetzt übrigens fertig und richtig hübsch geworden! Nur die Bilder fehlen noch, da rattert mein Gehirn schon auf Hochtouren…)

Und: Kreativ werden & etwas für andere tun.
Durch die Renovierungsarbeiten kam ich zwar nur selten zum Schreiben oder Zeichnen, aber es gelang mir, jeden Tag an den Tischkarten zu arbeiten, die ich für die Hochzeit einer lieben Freundin gestalte. Jede der etwa 200 Karten male und zeichne ich individuell: Zuerst trage ich mit dem Pinsel Braun- und Minttöne auf weißes Aquarellpapier auf; wenn die Farbschicht getrocknet ist, zeichne ich Blumen darauf, verziere alles mit Gold und falte die Karten.  
Das klingt nach viel Arbeit – ist es aber nicht.
In den letzten Tagen tat mir das Tischkarten-Malen wirklich gut, weil ich mich an einen festen Ablauf halten konnte und mich dabei trotzdem kreativ betätigte, mit Pinsel und Marker, und am Ende etwas schuf, das für eine geliebte Person bestimmt ist.

Und: Sinn finden.
Der österreichische Psychiater Viktor Frankl verschrieb seinen suizidgefährdeten Patienten die „Suche nach dem Sinn“. Don Miller fasst dessen Empfehlungen in seinem Buch Scary Close (empfehlenswert!) wie folgt zusammen:


  1. Have a project to work on, some reason to get out of bed in the morning and preferably something that serves other people. 
  2. Have a redemptive perspective on life’s challenges. That is, when something difficult happens, recognize the ways that difficulty also serves you. 
  3. Share your life with a person or people who love you unconditionally.


Und zuletzt: Lieben.
Gestern schrieb ich in mein Tagebuch: „Und ich denke, dass ich keine Liebe in mir habe. Ich liebe Gott nicht. Und auch sonst keinen. Das ist der Grund, warum ich so hohl und so traurig bin. Deshalb macht alles keinen Sinn.“
Das ist sicherlich übertrieben formuliert. Und doch ist es wahr. Ohne die Liebe hätte mein Leben keinen Sinn.
Also möchte ich der Liebe wieder mehr Raum schenken, die Liebe suchen. Mich lieben lassen und Liebe weitergeben. Nicht aus eigener Kraft. Ich muss darf mich der Liebe ausliefern.
Wir haben schließlich gerade Ostern gefeiert.
Because of love.






5 Kommentare:

  1. Liebe Rebekka,
    danke für Deine ehrlichen Worte! Es ist irgendwie beruhigend dass ich nicht die Einzige auf der Welt bin, die diese depressive Begleiterin kennt! Bei mir wurde es auch mit der Geburt der Kinder schlimmer. Nach der Geburt meines ältesten Sohnes vor 5 Jahren musste ich auch mit einer Wochenbettdepression kämpfen. Inzwischen nehme ich Medis und gehe in eine christliche Lebensberatung. Ich kämpfe jeden Tag und ich kenne die Dunkelheit sehr gut die Du beschreibst. Leider kann mein Mann mit dem allen nicht umgehen. Ich fühle mich sehr allein. Gott sei Dank kann ich meine Angst und meine finsteren Gedanken, meine tiefen Empfindungen und die ganze Sinnlosigkeit jeden Tag aufs Neue Gott geben. Ich weiß dass ER sich um mich kümmert und ich ihm nicht egal bin! Diese Gewissheit wünsche ich Dir auch von ganzem Herzen! Gottes Gedanken über Dir und Deiner Familie sind wunderbar. Denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Guten mitwirken. Das ist eine Verheißung, speziell für Dich. Die kannst Du Gott täglich unter die Nase halten, solange, bis ER sie erfüllt.
    Ich wünsche Dir einen guten Tag, auch wenn Du jetzt wieder tagsüber alleine bist mit Deinen Kindern. Du schaffst das! Wir schaffen das! Fühl' Dich unbekannterweise aus der Ferne gedrückt! Von Dagmar aus dem Schwabenländle

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    1. Liebe Dagmar, was du schreibst, berührt mich sehr und es tut mir leid, dass du mit der Dunkelheit kämpfen musst und so allein damit bist. Ich weiß, dass das nicht leicht ist!
      Gott sei Dank (und das meine ich, das ist keine Floskel!) dürfen wir Jesus kennen und uns ihm anvertrauen. Was ich ohne ihn machen würde, weiß ich auch nicht.
      Ich wünsche dir heute einen HELLEN Tag mit ganz viel Freude und Kraft und Glück :) Alles, alles Liebe!

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  2. Vielen lieben Dank für deine ehrlichen Worte. Ich kann dich da nur allzu gut verstehen. Genauso geht es mir auch oft. Und habe selbst noch keine Lösung für mich gefunden. Aber es tut gut zu wissen, dass man nicht allein ist. Dass es auch anderen so geht. So fühlt man sich nicht mehr ganz so schlecht. Wir brauchen uns gegenseitig und es ist schön, dass wir einander haben. Und ich bete, dass wir einen Weg finden, besser damit umzugehen. Vielleicht auch ein Stück weit akzeptieren lernen, um Verständnis für andere zu haben.
    Ich drücke dich ganz doll und denk an dich!!! :*

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    1. Meine liebe Elly, ich bin einfach dankbar, dass es dich gibt und wir uns kennen. So eine Freundin wie dich hatte ich noch nicht, die auch eine depressive Begleiterin hat und die dunklen Augenblicke kennt, und ich erkenne in dir die Erhörung eines Gebetes, das ich so nie ausgesprochen habe.
      Es ist so wichtig, dass wir nicht allein damit sind - und das sind wir nicht! Jesus ist das Licht und Freundinnen sind Glühwürmchen ;) Ich drück dich!!!

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  3. Liebe Rebekka,
    viele gute Gedanken zu einem traurigen Thema. Ich wünsche dir, dass Gott dich glücklich liebt! Ich erkenne mich in einigen Beschreibungen von dir wieder..
    Und danke für das Zitat aus Scary Close :D ich hab das Buch seit nem Jahr und liebe es. Lustigerweise hab ich gerade gestern mal wieder reingelesen, genau die Stelle ;) glg, Anne

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