Montag, 12. Dezember 2016

Unmut am Montag...





Stadtmensch sucht Dorf!

Um ein Kind großzuziehen, braucht es bekanntlich ein ganzes Dorf. Aber wenn ich in der Stadt lebe, mit so viel mehr Menschen um mich herum, müsste das nicht sogar besser sein?
Ich habe in meinem bisherigen Leben mehrere Jahre auf dem Dorf verbracht und hege nicht sonderlich romantische Gefühle für das Landleben – momentan gefällt es mir und uns in Berlin sehr gut, und ich bin (jedenfalls in diesem Stadium meines Seins) eher ein Stadtmensch.
Trotzdem denke ich seit einiger Zeit viel an dieses berühmte Sprichwort – ja, eigentlich seit ich Mama bin!
Momentan ist das Thema „Wir brauchen ein Dorf!“ ziemlich präsent – und problematisch für mich. Nur ein Beispiel: Mein Mann und ich wollten am vergangenen Adventssamstag für ein paar Stunden zu zweit einkaufen gehen, Geschenke für die Kinder shoppen und ein paar andere Dinge, mal ein bisschen Zeit zu zweit genießen. Eine Babysitterin war, oh Wunder,  schnell gefunden. Leider wurde sie dann krank, tja, das kommt vor, und dann fing die Sucherei nach einem Ersatz an… 

Und da merkten wir es wieder: Wir haben keine Großeltern in der Stadt, die ihre Enkel gern und spontan betreuen würden. Außer meiner Schwester haben wir hier überhaupt keine Verwandten. Unsere Freunde und Bekannten haben entweder selbst kleine Kinder oder sind anderweitig stark  eingespannt. Besonders in der Weihnachtszeit – da jagt ein Termin den nächsten und alle sind ziemlich gestresst und haben einfach keine Kapazitäten mehr.
An sich haben wir einige Leute, die wir als Babysitter anfragen können, besonders unsere Teenie-Mädels aus der Gemeinde sind uns da oft eine große Hilfe. Und trotzdem gibt es sehr oft Schwierigkeiten, jemanden für unsere Kinder zu finden – besonders spontan geht gar nicht. Ich muss eigentlich immer mehrere Personen anfragen, bis ich jemanden gefunden habe.
Manchmal mag ich auch schon gar nicht mehr fragen, weil ich (gefühlt) den Leuten hinterherrenne… und dabei handelt es sich nur um ein paar Stunden, vielleicht alle zwei, drei Monate!

Auf der einen Seite verstehe ich das natürlich: Jeder lebt sein eigenes Leben und hat seine eigenen Dinge zu tun. Dazu hat jeder das Recht und wir machen es ja auch nicht anders. Außerdem weiß ich, dass fast alle Menschen, mit denen wir zu tun haben, sich ehrenamtlich engagieren und viel im Einsatz für andere sind!
Und, klar, es sind unsere Kinder und damit haben wir die Verantwortung für sie und können nicht von anderen „erwarten“, dass sie uns die Kinder abnehmen.
Andererseits macht mich diese Situation schon stutzig – und manchmal auch wütend. Was ist das für eine Gesellschaft, in der wir leben und in die unsere Kinder hineingeboren wurden – eine Gesellschaft, in der Kinder ausschließlich Sache ihrer Eltern (und vielleicht noch der Kita) sind…
Ich habe den Eindruck, dass viele sich ihr Leben so voll packen, dass kein Raum mehr bleibt. Dass wir oft so fern voneinander sind…

Kein Wunder, dass junge Frauen es sich heutzutage zweimal überlegen, ob sie wirklich ein Kind bekommen möchten. Sie befürchten – und das ja wohl leider zurecht! – dass sie durch ein Kind ins Abseits gedrängt werden, dass sie nicht mehr gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, dass sie vereinsamen. Diese Erfahrung mache ich gerade in gewisser Weise.
Ich bin eigentlich immer für meine Kinder da und brauche wirklich nicht oft jemanden, der sie mal für mich betreut. Aber wenn dieser Fall eintritt, fühle ich mich manchmal, als wären die Kinder an mir festgekettet und ich hätte keine Möglichkeit, mich kurz (!) von ihnen zu lösen. Als wären die Kinder eine negative Ladung, die von allen anderen automatisch abgestoßen wird… Als wären die Kinder ganz allein meine Sache und nicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Alle haben schrecklich viel zu tun und reden dauernd darüber, wie sie entschleunigen und reduzieren und was-weiß-ich alles wollen… Oft frage ich mich, was ich eigentlich falsch mache, dass es mir nicht so geht. Ob ich eigentlich blöd bin oder faul, weil ich noch freie Kapazitäten habe. Nicht unendlich viele, auch ich muss sie mir einteilen und darauf achten, dass ich mir den Alltag nicht zu voll stopfe – aber ich bin zum Beispiel die einzige Mutter in unserer Kita, die regelmäßig ein Kind, das nicht ihr eigenes ist, mit abholt und betreut. Die einzige!
Bin ich eigentlich bescheuert?
Ja, gerade ärgert es mich ziemlich, dass ich bereit bin, einer anderen Mutter Unterstützung zu schenken und selbst niemanden zu haben, der dasselbe für mich tut.
Meine Antwort lautet immer „Ja“, wenn ich gebeten werde, besagtes Kind zu betreuen, auch wenn es für mich umständlich ist. Die Antwort, die ich zu hören kriege, wenn ich um Hilfe bittet, lautet meistens: „Muss ich erst mal schauen“ – wenn sie nicht gleich „Nein“ heißt. (Und natürlich verstehe ich die Gründe. Alle haben immer sehr gute Gründe…)

Möglicherweise klinge ich gerade zynisch und bitter.
So fühle ich mich auch.
Aber vor allem:  Müde. Traurig. Allein.


Mir fehlt ein Dorf!
Und damit meine ich nicht primär ein gut funktionierendes Kinder-Betreu-System.
Ich meine Menschen, mit denen wir gemeinsam leben, für die wir da sind und sie für uns. Menschen, mit denen wir teilen: Bohrmaschine, Plätzchenteig, Couch, Tränen, Feste  – und auch unsere Kinder. Ja, wir teilen unsere Kinder gern: Unsere Kinder lieben Babysitter und sind unheimlich unkompliziert was „Fremdbetreuung“ angeht. Sie genießen es, mit unterschiedlichen Leuten zusammen zu sein, und es tut ihnen einfach gut! Und ihren Babysittern wiederum tut es auch gut, mit den Kindern zusammen zu sein.
Unsere Kinder brauchen auch Erwachsene um sich, die nicht ihre Eltern sind – und Erwachsene brauchen die Gemeinschaft mit Kindern.

Ein Dorf für uns - Menschen, die einfach DA sind und wir mittendrin, weil wir alle dazugehören.
Menschen, die uns kennen, lang und immer länger, und die bei uns bleiben.
Ältere Menschen, die unseren Kindern Ersatz-Großeltern sind. Junge Menschen, die den Kindern Spielkameraden und Freunde sind. Mittelalte Menschen, die für uns als Eltern Freunde und Wegbegleiter sind. Und wir möchten all das auch für andere sein!

Ich weiß nicht, vielleicht sind um mich herum ja Menschen, die mir ein „Dorf“ sein könnten oder sogar möchten – und ich nehme sie nicht wahr? Schweife ich manchmal noch zu sehr in die Ferne, anstatt das Gute, das Vorhandene direkt vor meinen Augen wahrzunehmen?
Vielleicht muss ich selbst noch aktiver werden und mich noch mehr engagieren, das Signal aussenden: „Hey, ich möchte Teil deines Dorfes sein! Ich bin für dich da!“

Ich weiß gerade nicht, wie das konkret aussehen kann.

Aber mir ist klar, dass es auch an mir, an UNS liegt, ob wir ein Dorf für uns finden oder nicht:
Wie gastfreundlich sind wir – steht unsere Tür wirklich immer offen für diejenigen, die anklopfen? Wie hilfsbereit sind wir – sind unsere Kapazitäten erschöpft oder passt es uns nur gerade nicht in den Kram, dem Nachbarn beim Umzug zu helfen?
Wie ehrlich sind wir – dürfen unsere Nächsten auch unsere schwachen Seiten sehen oder bemühen wir uns vor allem um den schönen Schein?
...
Und wie möchten wir in Zukunft leben? Jeder schön für sich in seinen eigenen vier Wänden - oder wagen wir eine Wohn-Gemeinschaft? Wir allein werden uns wohl nie ein Haus mit Garten leisten können, aber mit anderen zusammen könnte es gehen... 

Um ein Dorf zu finden, müssen wir zuerst anfangen, ein Dorf für andere zu sein.
Wir sind immerhin schon mal zu viert und haben Platz an unserem Esstisch, auf unserer Couch, und in unseren Herzen auch!







5 Kommentare:

  1. ich verstehe dich gut... Nicht selten haben mit die VollzeitArbeitenden Mummies ihre Kinder "aufgedrückt" und ich hatte aber niemanden, wenn ich mit Mandelentzündung im Bett lag

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    1. Das ist so schade! Einerseits ist mir ja klar, dass ich als "stay-at-home-Mom" manches leichter habe als arbeitende Mamas, aber hin und wieder könnte ein bisschen Unterstützung schon sein - oder auch nur ein kleiner Plausch...
      Ganz lieber Gruß an dich!

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  2. ich habe keine Kinder, aber ich kann mich gut in dich reinversetzen. Meine Schwester ist Tagesmutter und meine alte Mutter und auch ich kommen in den Genuss dieser Kinder, es ist herrlich. Diese Kinder sind herrlich. Und genau diesen Spruch habe ich auch meiner Schwester gesagt, wie wahr, es braucht ein ganzes Dorf, um Kinder großzuziehen: Omas, Tanten... und alle haben einen großen Gewinn davon. Schade, dass es in der Anonymität unserer Gesellschaft nicht mehr so gut möglich ist. Wenn ich in der Nähe wohnen würde, würde ich gerne bei euch vorbeischauen, dich entlasten und mich an den Kids freuen :-)ich wünsche dir viel Erfolg auf der Suche nach dem Dorf

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  3. Das sind tolle Überlegungen, ich wünsche euch sehr, dass ihr euer Dorf findet. Genug Menschen habt ihr ja um euch herum in Berlin :) Bestimmt gibt es da Liebe Menschen, die sich auch mehr "Nähe" und "Vertrautheit" wünschen, denn wer tut das eigentlich nicht? Ich hab diese Woche so viel Ermutigung von älteren Frauen bekommen, die gesagt haben "Annika, Gott hat so viel in dich reingelegt. Wenn du dir etwas wünschst, weil es in deinem Herzen brennt, dann versuche alles, um diesen Wunsch umzusetzen!" Und diese ErMUTigung will ich dir auch zusprechen! :)

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