Donnerstag, 30. Juli 2015

Die Geburt einer Mutter



Für meine Tochter,
die wundersüße,
das Geburtstagskind



Es erstaunt mich immer noch, wie cool ich war. Ich hatte sowas von keine Ahnung, was mich erwartete, und das war auch besser so.
Am Abend bevor du geboren wurdest, saßen dein Papa und ich beim Mexikaner und aßen Burritos. Denn „wer weiß, wann wir das wieder machen können…“ Ich hatte schon regelmäßige Wehen, aber sie ließen sich irgendwie ertragen; mit meinem Wissen von heute würde ich sagen, dass es aber schon „richtige“ Wehen waren. Es war so heiß an diesem Abend, und die Bedienung brachte mir einen Fächer, fragte, wann es denn so weit sei. Als wir ihr sagten, heute sei der errechnete Geburtstermin (die Wehen erwähnten wir nicht), meinte sie nur, wir hätten ja Nerven…
Wir gingen nach Hause, was aber dauerte, weil ich alle paar Minuten eine Pause einlegen musste. Trotzdem dachte ich noch nicht daran, dass nur wenige Stunden später du das Licht der Welt erblicken würdest. Zu Hause angekommen, schaute ich online noch irgendeine Serie, duschte und legte mich ins Bett (!). Ziemlich schnell wurde mir aber klar: Nein, das Baby kommt JETZT, wir müssen ins Krankenhaus! Dein Papa war etwas verdutzt, dass ich ihm plötzlich so einen Druck machte, er solle sofort ein Taxi rufen.
Als wir im Krankenhaus ankamen, schloss mich die diensthabende Hebamme an den Wehenschreiber an, untersuchte mich aber nicht – in derselben Nacht wurden noch fünf weitere Kinder auf der Geburtsstation geboren. Nach etwa einer Stunde schaute sie erst wieder bei uns rein, da ich begonnen hatte, ein bisschen zu schreien. Der Muttermund war vollständig geöffnet und du konntest dich auf deine erste Reise begeben. Nach ziemlich viel Hin und Her und zweieinhalb Stunden später flutschtest du förmlich aus mir heraus und schriest deinen ersten Schrei.
Ich war erleichtert und glücklich, als die Hebamme dich auf meinen Bauch legte: Ein munteres und gesundes Kind, ziemlich dünn zwar, aber alles dran. Und du warst so sauber… Jetzt war die Geburt überstanden, dachte ich, und wir hatten das alle ganz gut gemacht – doch irgendetwas schien nicht zu stimmen. Da war sehr viel Blut und die Plazenta kam nicht raus, wie sehr sie auch auf meinem Bauch herumdrückten. Du durftest kurz an meiner Brust saugen, wurdest dann aber zum Messen, Wiegen und Untersuchen mitgenommen – zu dem Zeitpunkt ahnte ich nicht, dass ich dich erst Stunden später wiedersehen würde, nach der Ausschabung unter Vollnarkose.
Leute in blauen Kitteln kamen herein, drückten mir eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht und fragten, ob ich nüchtern sei (was ich bejahte, denn den Burrito hatte ich gleich bei der Ankunft im Krankenhaus in die Nierenschale „abgegeben“).
In der Zwischenzeit hatte dein Papa dich in seinen Armen gewiegt; gegen Morgen glaubte er, sie würden ihm jeden Moment abfallen. Als er dich wieder auf meine Brust legte, warst du vollständig angezogen, trugst Windel und Mützchen und sahst so friedlich aus, wunderschön.
In diesem Augenblick verschwand meine Coolness (sollte ich jemals welche besessen haben). Du warst so winzig, so zart, so hilflos – und ich sollte nun für dich verantwortlich sein, für dich sorgen? Wie sollte ich das denn machen? Ich hatte doch gar keine Ahnung von kleinen Kindern und vom Mama-Sein!?!
Manchmal denke ich, dass deine Geburt nicht nur diese paar Stunden im Krankenhaus dauerte; „Wehen“ hatte ich jedenfalls noch Wochen und Monate später. Wir mussten uns erst kennenlernen, du und ich, und ich musste in meiner neuen Rolle als Mama ebenso erst ankommen wie du in dieser lauten und bunten Welt. Das Stillen war oft schwierig und ich hatte Angst, dich nicht ernähren zu können. Es fiel mir schwer, meine Bedürfnisse hinten anzustellen und für dich zu „funktionieren“ – und das, obwohl du doch eigentlich ein Wunderkind warst – und schon nach wenigen Tagen nachts durchschliefst! (Ich sehe das als Gnade Gottes…)
Wie oft saß ich da, dich im Arm haltend, mit Tränen in den Augen – weil ich so gerührt war und dankbar und glücklich und stolz, gleichzeitig so unendlich hilflos, verzweifelt, überfordert. Ich liebte dich so sehr, und zur selben Zeit erschien es mir manchmal unmöglich, dir die Mutter zu sein, die du brauchtest.

Heute bist du genau 2 Jahre alt und flitzt den ganzen Tag durch die Wohnung, baust tolle duplo-Häuser und „liest“ deinem kleinen Bruder Bücher vor. Ein tolles Mädchen bist du geworden, das alle Leute auf der Straße mit einem freundlichen „Hallo“ grüßt, ein Faible für Motorräder hat und die Zwei-Wort-Satz-Phase langsam aber sicher hinter sich lässt. Du bist ein Papa-Kind, das beim Abendlied trotzdem am liebsten auf Mamas Schoß sitzt. Ich verstehe deine Wortschöpfungen am besten, ich bin diejenige, die als erste sieht, was du Neues gelernt hast, die dich in- und auswendig kennt und trotzdem jeden Tag von dir in Staunen versetzt wird. Du bist meine Erstgeborene, der Mensch, der mich zur Mama gemacht hat.
Ja, in dieser schwülen Juli-Nacht vor zwei Jahren wurde nicht nur ein Kind geboren – gleichzeitig kamen eine Mama und ein Papa zur Welt, und eine kleine Familie entstand. Wir haben mit dir gemeinsam den ersten Atemzug getan, in dieses neue Leben mit dir. Zusammen mit dir gehen wir immer wieder die allerersten Schritte, stolpern, fallen hin und stehen wieder auf.
Es gibt Tage, da flutscht alles und wir springen vergnügt durch dieses wunderbare Leben, da ist einfach alles perfekt und ich denke, dass ich in den letzten zwei Jahren doch irre viel gelernt hab! Und dann gibt es auch Tage, da fühle ich mich wieder wie damals im Krankenhaus, als ich (noch) keine Milch für dich hatte und du so dünn warst und so verzweifelt schriest und ich betete: „Gott, ich kann das nicht!“ Das sind Tage, an denen mir klar wird, dass wir weiterhin unterwegs sind, dass es immer wieder tausend kleine und große Erste-Male gibt, dass ich keine „Expertin“ bin. Eher ein Greenhorn. Aber die „Ausbildung“ zur Mama dauert nun mal ein Leben lang, kann nicht in drei Jahren abgeschlossen werden. Gott sei Dank.

Heute, an deinem Geburtstag, empfinde ich vor allem Dankbarkeit für dein Leben, für diese deine unsterbliche Seele, für dich.  Dass ich deine Mama sein darf, ist für mich ein unfassbar großes Geschenk.
Ich bin dankbar, dass du bist, wie du bist, unverwechselbar, einzigartig, wunderbar erdacht und gemacht. Es erfüllt mich mit Dankbarkeit (und zugleich mit Wut), dass du hier und jetzt in Frieden, Sicherheit und Wohlstand heranwachsen kannst – wo zeitgleich Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind und nicht wissen, was der morgige Tag bringen wird. Ich bin dankbar, und gleichzeitig weiß ich, dass wir zum Handeln aufgefordert sind, dass wir nicht bei uns stehen bleiben dürfen.
Und ich danke unserem Vater im Himmel, dass er uns bis hierher begleitet hat – dich als Kind und mich als Mutter. In den vergangenen 24 Monaten hat Er es mir durch dich nahegebracht, was es bedeutet, dass Gott mein Vater (und meine Mutter) ist und dass ich seine Tochter bin. Nie war ich näher dran an unserem großen Gott, der ein kleines Kind wurde und hier mit uns als Mensch lebte.
Du bist für mich ein Engel, weil du von Gott gekommen bist, weil er dich zu uns geschickt hat, mit ganz vielen Botschaften seiner Liebe und seinen Vorstellungen vom Leben auf dieser Erde.
Du hast zwar keine Flügel, aber eines Tages wirst du davonfliegen, in dein eigenes Leben.
Bis dahin begleiten wir dich, Schritt für Schritt, voll Staunen und Danken, und gehen gemeinsam weiter an der Hand des Vaters.

Happy birthday, mein Schatz!


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