Sonntag, 26. Juli 2015

Mut zur Lücke



Die Blogs anderer Frauen und  Mütter zu verfolgen, ist ermutigend und inspirierend. Sie geben mir viele Anregungen und Tipps für den Alltag mit kleinen Kindern, Anstöße zur Kreativität und so weiter. Da ist das Aquarium aus einer alten Müsli-Packung, ein fast vergessenes Kinderlied, Ideen für den Kindergeburtstag, der bei uns bald ansteht, ein Gedankensplitter zu Gottes Gegenwart in meinem Leben. Ich beginne, mir ganz neue Gedanken zu machen – über Konsum, Erziehung, Ehe, Freundschaft, Glaubensleben.
Im Grunde sind das sogar viel zu viele gute Dinge, die da auf mich einströmen… Ich kann das, was diese Blogs an Wertvollem ausspucken, eigentlich kaum verarbeiten. Vielleicht sollte ich mir mal eine Liste (oder besser: eine Tabelle) anlegen, in der ich all das sammeln und für den späteren Bedarf aufheben kann. Denn schließlich sind das alles Schätze, die nicht verlorengehen dürfen. Spielideen, die ich unbedingt ausprobieren muss. Rezepte, die für die Ernährung meiner Kinder von unschätzbarem Wert sind. Werte, die ich meinen Kindern vorleben und weitergeben muss, sollen sie wenigstens einigermaßen gut geraten…
Hier sind wir auch schon bei meinem Problem angekommen: Irgendwie fühle ich mich in Anbetracht der Fülle guter Anstöße und Gedanken ziemlich defizitär. Denn mein Leben scheint ganz anders zu sein: Nicht so bunt. Nicht so bewusst. Nicht so Jesus-durchdrungen. Nicht so voll Nächstenliebe. Nicht so kreativ. Nicht so engagiert.

Es ist beeindruckend – und das sage ich ganz unironisch, voll ehrlicher Bewunderung – was manche Menschen (und vor allem: MÜTTER) in der Lage sind, in 24 Stunden alles unterzubringen.
Meine Energie dagegen reicht gerade so zum Überleben. Ich bin froh über jeden Tag, an dem ich nicht ausflippe und meine Kinder anschreie. Wenn ich meinen Haushalt so einigermaßen schaffe, bin ich zufrieden. Dass der Draht zu meinem Ehemann und zu unserem Vater im Himmel noch besteht, erfüllt mich mit leisem Stolz und Dankbarkeit. Die Kinder sind satt und sauber, wenigstens das, denke ich, denn viel mehr kriege ich nicht hin. Oft habe ich das Gefühl, einfach nur zu funktionieren.
Soziales Engagement? – Voll wichtig, aber was und wie und vor allem: wann? Tolle Kreativprojekte? – Sehr gern, aber… und wie organisiere ich das mit zwei Kleinkindern? Umstellung unserer Ernährung auf Selbstversorgung bzw. regionale Biokost? – Wäre sicher wünschenswert, ist mir aber ohne Auto und Garten gerade nicht möglich. Klamotten selber nähen? – Wow, tolle Idee, aber so viel Aufwand, und dann bräuchte ich erstmal eine Nähmaschine. Unvergessliche Naturerlebnisse mit den Kindern? – Die hat vielleicht mein Mann, wenn ich ihn nach der Arbeit mit den Kindern rausschicke, um einen Blogeintrag schreiben zu können. Wenigstens das.

Irgendwas mache ich anscheinend falsch. Wahrscheinlich sogar ziemlich viel… Ich müsste mich besser organisieren, die Prioritäten neu ordnen, Abstriche an anderen Ecken (aber welchen?) machen. Blöd nur, dass das schon wieder nach ziemlich viel Arbeit klingt, für die ich – so fühlt es sich jedenfalls an – weder Zeit noch Energie übrig habe.
Bleibt mir wohl also nichts anderes übrig, als meine Defizite zu verwalten…

Ach, ich bin so erdrückend normal und lahm. Denn ich bin tatsächlich NUR Hausfrau und Mutter. Ok, und ein bisschen auch Bloggerin, aber das zählt nicht, weil das so viele andere neben ihren 1000 Aktivitäten auch noch machen.
Selbst wenn ich für meine Kinder Schulbrote schmieren würde, wäre ich sicher nicht dazu in der Lage, dies besonders kreativ zu tun und die Kunstwerke anschließend auch noch zu fotografieren. Wühlen im Dreck ist überhaupt nicht mein Ding und Tiere mag ich (ganz ehrlich) auch nicht besonders. Über einen grünen Daumen verfüge ich nicht, mir gehen sogar Kakteen ein, und zum (großartige Dinge) Basteln sind meine Kinder noch zu klein.
Manchmal finde ich das deprimierend.

Eigentlich weiß ich ja, dass wir alle mit Defiziten leben. Mit kleineren und größeren. Wir können nicht alles haben und schon gar nicht sofort. Nicht alles ist für jede von uns machbar, erreichbar, und vielleicht auch gar nicht erstrebenswert. Nur, weil Leute, die ich toll finde, aus Überzeugung ihre eigenen Tomaten ernten, muss ich das nicht auch unbedingt tun. Nur weil andere Kinder so viele Naturerlebnisse haben, im Freien schlafen und Rehkitze streicheln (oder so), können meine Kinder erstmal auch ohne solche Highlights auskommen.
Sicher, es gibt so vieles, was wertvoll wäre für meine Kinder, was es wert wäre, an sie weiterzugeben: Naturliebe, Ehrenamt, Museen, Bücher, Kreativität, verschiedene Sportarten, Bioessen, Ponyreiten, Angeln, Klettern, Kinderlieder, exotische Länder… aber, ganz ehrlich: Wir müssen doch alle eine Auswahl treffen, und tun das auch – mehr oder weniger bewusst. Wir tun eben das, was uns möglich ist, was wir wichtig finden, was für uns Priorität hat und uns Spaß macht. Wir können und MÜSSEN NICHT alles schaffen.

Ich verordne mir hiermit also ein bisschen Abstand von all den tollen Anregungen, DIY-Tipps und Ideen und tätschele mir beruhigend den Arm.
Denn erstens: Es kommen auch wieder andere Zeiten. Meine Kinder sind wirklich noch sehr klein, da ist es völlig ok, wenn wir nicht jeden Tag basteln oder eigene Zucchini züchten. Meine Kinder haben (das ist mein Gebet) noch einige Jahre Kindheit vor sich, die wir mit verschiedenen Aktivitäten, Hobbys und Erlebnissen füllen werden. Alles zu seiner Zeit.
Ich sage mir selbst: Geh einen Schritt nach dem anderen.
Überleg dir: Was ist JETZT für meine Kinder wichtig? Was ist GERADE drin – finanziell, kräftemäßig, interessehalber? Wie kann ich JETZT unsere gemeinsame Zeit gestalten? Nur darauf kommt es an, jetzt.

Zweitens: Wir geben unseren Kindern das mit, was uns selbst etwas bedeutet. Das geschieht oft ganz unbewusst. In meinem Fall könnte das die Liebe zu Büchern und zur Kreativität, zur Kunst sein, außerdem Gastfreundschaft und die Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinde mit allem, was dazugehört. Meine Leidenschaft für Kenia und Ungarn und Fremdsprachen. Interesse an Geschichte und gesellschaftspolitischen Fragen. Singen. Spaziergänge. Bahnfahren statt mit dem Auto.
In anderen Familien wird viel Wert auf gesunde Ernährung und Sport gelegt, anderen gelten Bildung und Wissen als höchstes Gut. Die einen fotografieren ihre Brotboxen, die nächsten gehen mit der ganzen Familie zum Fußball und wieder andere erkunden bei jedem Wetter die Natur. Manche Mütter gehen mit ihrem Säugling in die Kunstausstellung, andere nehmen die Kinder mit zu allen möglichen Gemeindeveranstaltungen oder zu ihrem ehrenamtlichen Engagement…
Diese Vielfalt ist wunderbar! Unsere Familie bildet eine Facette dieser Vielfalt, und muss nicht das ganze Spektrum abdecken.

Drittens: Kinder entdecken ihre Welt mehr und mehr selbst. Immer mehr Interessen und Möglichkeiten tun sich ihnen auf – zunächst in der Kita, später in der Schule und im Verein, ebenso in den Medien. Sie lernen Neues kennen und erschließen sich womöglich Welten, zu denen weder ihr Papa noch ich so wirklich Zugang finden. Vielleicht wird meine Tochter völlig unerwartet Leistungssportlerin oder geht als Schreinerin auf die Walz. Und unser Sohn könnte Börsenmakler werden(Gott bewahre!), Anthropologe im Amazonas-Gebiet oder Professor für Sinologie… Was ich damit sagen will: Unsere Kinder gehen möglicherweise weit über das hinaus, was wir ihnen vorgelebt und angeboten haben. Diese Perspektive beunruhigt mich zwar ein bisschen, auf der anderen Seite befreit sie mich auch ungemein.

Und viertens: Manche Defizite lohnt es sich zu füllen. Aber niemand kann an fünf Baustellen gleichzeitig schuften. Such dir lieber eine aus, an der du arbeiten möchtest – einen Bereich in deinem Leben, für den du dir am meisten Wachstum wünschst. Wenn es dir tief drinnen ein schlechtes Gewissen macht, konventionell hergestellte und gehandelte Waren zu konsumieren, überleg dir, wie du Schritt für Schritt zu einem nachhaltigeren und fairen Lebensstil kommen kannst. Wünschst du dir mehr Sportlichkeit in deiner Familie, dann arbeite daran, peu à peu mehr Bewegung ins Familienleben zu bringen. Sprich mit deinem Mann darüber und auch mit deinen Freunden. Geh mit deinen Überlegungen ins Gebet. Und wenn du dir nicht sicher bist, was gerade wirklich dran ist - Lass dir ins Herz geben, woran Gott in deinem Leben arbeiten möchte.
Das ist es, was ich gerade tue. Ich will stille werden und auf meinen Gott warten. Auf diese Weise halte ich die Ansprüche in ihrer überwältigenden Gesamtheit immerhin etwas auf Abstand.

Wir sind wir, und das dürfen wir auch sein.
Wir bleiben nicht wir, wir verändern uns, und das ist gut so.
Wir gehen weiter, wir bleiben nicht stehen.
Wir lassen uns inspirieren, und manches lassen wir auch...
Wir sind so frei!





2 Kommentare:

  1. Rebecca, DU GENÜGST! Alles, was deine Kinder brauchen, bist DU!

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  2. Ach Veronika, das war jetzt genau richtig. Danke und *schluchz* und überhaupt, du bist toll!

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