Freitag, 6. März 2015

Bücherliebe #1 Seidenkinder




Zu meinen Lieblingskindheitserinnerungen gehört die des Lesen Lernens. Jeder neue Buchstabe war eine Offenbarung, wie ein Schlüssel, mit dem ich eine weitere Tür zur Welt öffnen konnte, und ich kam total begeistert und erfüllt von der Schule nach Hause. Lesen war also von Anfang an meine große Leidenschaft.
Zu den Dingen, die ich (gerade in dieser anstrengenden Kleinkindphase) unbedingt für mein geistiges und seelisches Wohlbefinden brauche, gehört neben ausreichend Kuscheleinheiten mit meinem Mann, Schokolade und meinem Tagebuch auch das Lesen. Mein „Lesen!-Regal“ direkt neben unserem Sofa muss immer mit mindestens einem neuen Buch bestückt sein, sonst gerate ich aus dem Gleichgewicht. Und weil Lesen so etwas Schönes ist, und ich mich gern über Bücher unterhalte und Buchtipps bekomme (und ich hätte eigentlich gern einen Buch-Club!), habe ich mir diese neue Blog-Kategorie überlegt, in der ich meine aktuelle Lektüre vorstelle: Bücherliebe.

Dieses erste Mal nehme ich mir einen Roman aus der christlichen Literaturwelt vor – was eigentlich ungewöhnlich ist, denn ich lese (abgesehen von theologischen Büchern oder vielleicht mal einem Ratgeber) eigentlich keine „christliche“ Literatur. Ich habe da noch nie etwas gefunden, das mich wirklich angesprochen und begeistert hat. Leider!
Der Roman Seidenkinder von Christina Brudereck allerdings ist anders und aus verschiedenen Gründen lesenswert: 1.  Er ist von Christina Brudereck und Christina Brudereck ist toll! Finde ich jedenfalls. Im letzten Mai durfte ich an einem von ihr geleiteten Schreibseminar teilnehmen und sie selbst ein bisschen kennenlernen. Sie ist eine leidenschaftliche und inspirierende Persönlichkeit und ich bewundere ihre Wortgewandtheit! Sie hat mich wirklich in meinem Schreiben vorangebracht und ermutigt. (Noch besser als Seidenkinder finde ich allerdings ihre Gedichte und ihre CDs von 2Flügel!) 2. Es ist ein Roman aus der christlichen Literaturszene. Auch wenn sie vielleicht nicht die allerhochwertigste Literatur hervorbringt, so ist es doch notwendig, dass es sie gibt und dass wir sie unterstützen. Damit sich etwas bewegt. 3. Seidenkinder ist kein typisches frommes Buch, von wegen die richtige Antwort lautet immer „Jesus“, egal was man gefragt hat – oder auch nicht. Aber dazu dann weiter unten mehr…


Seidenkinder

Von Christina Brudereck, 2008

Der erste Satz: Trockenheit und Hitze.

Ein Satz, der nachklingt: Ich frage mich, was Gott empfindet, wenn er diese Welt sieht.

Darum geht’s:
Die Protagonistinnen sind zwei Frauen „im besten Alter“: Anne aus den USA und Priya aus Indien. Sie begegnen sich, als die eine bereits vierfache Mutter ist, die andere (unwissentlich) schwanger. Sie schließen eine tiefe Freundschaft, trotzen damit allen sprachlichen (und sonstigen) Barrieren, und versprechen sich, ihre Söhne als „Seidenkinder“ zu erziehen – stark und sanft zugleich. Sie schreiben sich Briefe, dann reißt der Kontakt ab.
Matt, Annes Sohn, möchte mit seinem Sohn Tom nach Indien reisen. Er ist Anwalt und Idealist, hat Sehnsucht nach Gerechtigkeit, möchte sich für die Schwachen der Welt einsetzen. Von seiner Mutter Anne erhalten die beiden den Auftrag, Priya und ihren Sohn Jaya zu finden.
Auf ihrer Reise durch Indien, auf der Suche nach Priya, begegnen Matt und Tom den unterschiedlichsten Menschen: Einem Sikh mit seinem behinderten Sohn, einem jungen Amerikaner, der gemeinsam mit Mutter Teresa Sterbende pflegte, katholischen Nonnen, einer Umweltaktivistin. Sie führen Gespräche, die Spuren in ihnen hinterlassen und jedem für sich, Vater und Sohn, eine neue Lebensaufgabe eröffnen.
Jayas Geschichte, und die seiner Mutter, wird parallel erzählt: Wie sein Leben auf der Straße begann und durch eine unverhoffte Begegnung eine unvorstellbare Wende erlebte, wie er schließlich selbst zum Leiter eines Zuhauses für indische Straßenkinder wurde.

Meine Leseerfahrung:
Um es gleich vorweg zu nehmen: Seidenkinder ist kein spannendes Buch. Zwei Amerikaner reisen durch Indien, auf der Suche nach einer alten Frau und ihrem Sohn. Dabei „passiert“ ihnen nicht wirklich viel, wenn man von den vielfältigen Begegnungen und Gesprächen absieht.
Aber eigentlich geht es ja auch genau um diese Begegnungen und Gespräche, es geht um eine „innere“ Reise, um die Suche nach der „Lebensaufgabe“ und um die Frage: „Wem vertraust du am Ende wirklich? Wer ist dein Herr?“ Obwohl im Roman unterschiedliche Weltanschauungen und Religionen zu Wort kommen, ist doch klar, dass für Anne, Priya und Jaya nur Jesus als Antwort auf diese letzte Lebensfrage möglich ist. Und dennoch wird der christliche Glaube (in meiner Wahrnehmung) dem Leser nicht platt auf dem Silbertablett präsentiert, sondern leise und authentisch aus der Perspektive eines Suchenden. Somit kann sich das Buch auch eignen, es an Menschen weiterzugeben oder zu verschenken, die mit Jesus und dem christlichen Glauben (noch) nichts anfangen können.
Der Autorin geht es aber auch um soziale Gerechtigkeit, um die ganz großen Herausforderungen, vor denen Indien aktuell steht: HIV-Aids, gigantische Staudammprojekte, problematische Saatgut-Politik, der Kampf der Pharmakonzerne um Generika. Das Leid der Menschen und die himmelschreiende Ungerechtigkeit machen betroffen und wütend. Gleichzeitig fand ich doch, dass Christina Brudereck zu viele Fässer gleichzeitig aufgemacht hat und sich vielleicht besser auf ein oder zwei Themen beschränkt hätte.
Ein weiteres Manko sind meiner Meinung nach die Figuren, die mir zu flach und glatt erschienen, ohne Ecken und Kanten, die einfach zu „gut“ und zu idealistisch waren, als dass ich mich mit ihnen hätte identifizieren können. Teilweise gingen sie mir mit ihrer Gutmenschenart eher auf die Nerven...

Fazit:
Ein gut lesbarer Roman, der, wie gesagt, nicht typisch ist für die „christliche“ Romanwelt – das hat mir daran gefallen. Christina Brudereck schafft es, zum Nachdenken anzuregen: Wer ist wirklich der Herr in meinem Leben? Was ist meine „Lebensaufgabe“? Was kann ich dafür tun, dass es auf dieser Welt gerechter zugeht? Wie sieht echte Nachfolge Jesu wirklich aus?
Und am Ende erlebt man sogar noch eine kleine Überraschung, die das Buch schön rund macht und mich mit seinen Schwächen versöhnt hat. Lesen!








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