Zu meinen Lieblingskindheitserinnerungen gehört die des
Lesen Lernens. Jeder neue Buchstabe war eine Offenbarung, wie ein Schlüssel,
mit dem ich eine weitere Tür zur Welt öffnen konnte, und ich kam total
begeistert und erfüllt von der Schule nach Hause. Lesen war also von Anfang an
meine große Leidenschaft.
Zu den Dingen, die ich (gerade in dieser anstrengenden
Kleinkindphase) unbedingt für mein geistiges und seelisches Wohlbefinden
brauche, gehört neben ausreichend Kuscheleinheiten mit meinem Mann, Schokolade
und meinem Tagebuch auch das Lesen. Mein „Lesen!-Regal“ direkt neben unserem
Sofa muss immer mit mindestens einem neuen Buch bestückt sein, sonst gerate ich
aus dem Gleichgewicht. Und weil Lesen so etwas Schönes ist, und ich mich gern
über Bücher unterhalte und Buchtipps bekomme (und ich hätte eigentlich
gern einen Buch-Club!), habe ich mir diese neue Blog-Kategorie überlegt, in der
ich meine aktuelle Lektüre vorstelle: Bücherliebe.
Dieses erste Mal nehme ich mir einen Roman aus der
christlichen Literaturwelt vor – was eigentlich ungewöhnlich ist, denn ich lese
(abgesehen von theologischen Büchern oder vielleicht mal einem Ratgeber)
eigentlich keine „christliche“ Literatur. Ich habe da noch nie etwas gefunden,
das mich wirklich angesprochen und begeistert hat. Leider!
Der Roman Seidenkinder
von Christina Brudereck allerdings ist anders und aus verschiedenen Gründen
lesenswert: 1. Er ist von Christina
Brudereck und Christina Brudereck ist toll! Finde ich jedenfalls. Im letzten
Mai durfte ich an einem von ihr geleiteten Schreibseminar teilnehmen und sie
selbst ein bisschen kennenlernen. Sie ist eine leidenschaftliche und
inspirierende Persönlichkeit und ich bewundere ihre Wortgewandtheit! Sie hat
mich wirklich in meinem Schreiben vorangebracht und ermutigt. (Noch besser als Seidenkinder finde ich allerdings ihre
Gedichte und ihre CDs von 2Flügel!) 2. Es ist ein Roman aus der christlichen
Literaturszene. Auch wenn sie vielleicht nicht die allerhochwertigste Literatur
hervorbringt, so ist es doch notwendig, dass es sie gibt und dass wir sie
unterstützen. Damit sich etwas bewegt. 3. Seidenkinder
ist kein typisches frommes Buch, von wegen die richtige Antwort lautet immer „Jesus“,
egal was man gefragt hat – oder auch nicht. Aber dazu dann weiter unten mehr…
Seidenkinder
Von Christina Brudereck, 2008
Der erste Satz: Trockenheit und Hitze.
Ein Satz, der nachklingt: Ich frage mich, was Gott
empfindet, wenn er diese Welt sieht.
Darum geht’s:
Die Protagonistinnen sind zwei Frauen „im besten Alter“:
Anne aus den USA und Priya aus Indien. Sie begegnen sich, als die eine bereits
vierfache Mutter ist, die andere (unwissentlich) schwanger. Sie schließen eine
tiefe Freundschaft, trotzen damit allen sprachlichen (und sonstigen) Barrieren,
und versprechen sich, ihre Söhne als „Seidenkinder“ zu erziehen – stark und
sanft zugleich. Sie schreiben sich Briefe, dann reißt der Kontakt ab.
Matt, Annes Sohn, möchte mit seinem Sohn Tom nach Indien
reisen. Er ist Anwalt und Idealist, hat Sehnsucht nach Gerechtigkeit, möchte
sich für die Schwachen der Welt einsetzen. Von seiner Mutter Anne erhalten die
beiden den Auftrag, Priya und ihren Sohn Jaya zu finden.
Auf ihrer Reise durch Indien, auf der Suche nach Priya,
begegnen Matt und Tom den unterschiedlichsten Menschen: Einem Sikh mit seinem
behinderten Sohn, einem jungen Amerikaner, der gemeinsam mit Mutter Teresa
Sterbende pflegte, katholischen Nonnen, einer Umweltaktivistin. Sie führen
Gespräche, die Spuren in ihnen hinterlassen und jedem für sich, Vater und Sohn,
eine neue Lebensaufgabe eröffnen.
Jayas Geschichte, und die seiner Mutter, wird parallel
erzählt: Wie sein Leben auf der Straße begann und durch eine unverhoffte
Begegnung eine unvorstellbare Wende erlebte, wie er schließlich selbst zum
Leiter eines Zuhauses für indische Straßenkinder wurde.
Meine Leseerfahrung:
Um es gleich vorweg zu nehmen: Seidenkinder ist kein
spannendes Buch. Zwei Amerikaner reisen durch Indien, auf der Suche nach einer
alten Frau und ihrem Sohn. Dabei „passiert“ ihnen nicht wirklich viel, wenn man
von den vielfältigen Begegnungen und Gesprächen absieht.
Aber eigentlich geht es ja auch genau um diese Begegnungen
und Gespräche, es geht um eine „innere“ Reise, um die Suche nach der
„Lebensaufgabe“ und um die Frage: „Wem vertraust du am Ende wirklich? Wer ist
dein Herr?“ Obwohl im Roman unterschiedliche Weltanschauungen und Religionen zu
Wort kommen, ist doch klar, dass für Anne, Priya und Jaya nur Jesus als Antwort
auf diese letzte Lebensfrage möglich ist. Und dennoch wird der christliche
Glaube (in meiner Wahrnehmung) dem Leser nicht platt auf dem Silbertablett
präsentiert, sondern leise und authentisch aus der Perspektive eines Suchenden.
Somit kann sich das Buch auch eignen, es an Menschen weiterzugeben oder zu
verschenken, die mit Jesus und dem christlichen Glauben (noch) nichts anfangen
können.
Der Autorin geht es aber auch um soziale Gerechtigkeit, um
die ganz großen Herausforderungen, vor denen Indien aktuell steht: HIV-Aids,
gigantische Staudammprojekte, problematische Saatgut-Politik, der Kampf der
Pharmakonzerne um Generika. Das Leid der Menschen und die himmelschreiende
Ungerechtigkeit machen betroffen und wütend. Gleichzeitig fand ich doch, dass
Christina Brudereck zu viele Fässer gleichzeitig aufgemacht hat und sich
vielleicht besser auf ein oder zwei Themen beschränkt hätte.
Ein weiteres Manko sind meiner Meinung nach die Figuren, die
mir zu flach und glatt erschienen, ohne Ecken und Kanten, die einfach zu „gut“ und
zu idealistisch waren, als dass ich mich mit ihnen hätte identifizieren können.
Teilweise gingen sie mir mit ihrer Gutmenschenart eher auf die Nerven...
Fazit:
Ein gut lesbarer Roman, der, wie gesagt, nicht typisch ist
für die „christliche“ Romanwelt – das hat mir daran gefallen. Christina
Brudereck schafft es, zum Nachdenken anzuregen: Wer ist wirklich der Herr in
meinem Leben? Was ist meine „Lebensaufgabe“? Was kann ich dafür tun, dass es
auf dieser Welt gerechter zugeht? Wie sieht echte Nachfolge Jesu wirklich aus?
Und am Ende erlebt man sogar noch eine kleine Überraschung,
die das Buch schön rund macht und mich mit seinen Schwächen versöhnt hat. Lesen!
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