Das Los ist mir gefallen auf liebliches Land;
Mir ist ein schönes Erbteil geworden.
Psalm 16,6
So viele Menschen um mich herum bereisen die Welt, machen
spannende internationale Erfahrungen und lernen interessante Persönlichkeiten
kennen. Ich selbst war länger nicht mehr im Ausland und schon ein Wochenendbesuch
zu den Schwiegereltern kommt – mit den beiden Kindern – vom Aufwand her einem Staatsakt
gleich. Mein Mann hat einen interessanten Job mit vielfältigen Aufgaben und
netten Kollegen. Ich bin viel mit den Kindern allein und mache eigentlich jeden
Tag dasselbe… Meine Schwester ist einfach nur wunderschön. Wenn wir zusammen
unterwegs sind, drehen sich viele Männer nach ihr um. Mein Körper hat schon
einmal bessere Zeiten gesehen – aber eine Traumschönheit war ich noch nie, das
kann ich jetzt nicht auf die Schwangerschaften schieben…
Morgen haben wir einen Termin zum Küche-Aussuchen. Da gibt
es so viele tolle Möglichkeiten der Gestaltung! Wir aber werden uns aufgrund
unseres knappen Budgets mit dem günstigsten Standard begnügen müssen.
So besteht mein Leben aus sehr vielen Grenzen, aus
eingeschränkten Möglichkeiten und immer wieder auch aus einem „Nicht-mehr“ oder
sogar einem „Nie“. You cannot eat the
cake and have it at the same time, sagte ein Freund aus Kenia mal zu mir,
und ja, das stimmt: Wir können nicht alles auf einmal haben. Gleichzeitig
Kinder großziehen, voll im Job aufgehen, unendlich viel Freizeit haben, im Geld
schwimmen und Lebenserfahrungen sammeln ohne zu altern – das alles ist wohl unmöglich unter einen Hut
zu bringen. Für mich jedenfalls. Mein Leben sieht anders aus und erscheint mir
oft so klein und arm.
Heute Morgen hatte ich im Bad ein bisschen Zeit für mich
(bevor beide Kinder gleichzeitig zu Schreien anfingen…) und las einen Artikel
in der frisch erschienenen Ausgabe der Faszination Bibel. Es war ein Artikel
über Josua, den Nachfolger Moses im Alten Testament: Ein hochbegabter,
vielversprechender Mann, der sich zunächst als Kundschafter bewährte und
schließlich das Volk Israel ins verheißene Land führte. Markus Franz schreibt
in seinem Artikel, dass Josua viele Qualitäten und das Zeug zum Herrscher
gehabt habe. Dennoch errichtet er keinen Staat und erhebt sich auch nicht zum
Oberhaupt einer Dynastie, auch wirkt er kaum außenpolitisch. Man könnte auch
sagen, dass er weit unter seinen Möglichkeiten blieb.
Und tatsächlich war Josuas Leben von vielen Grenzen
bestimmt: Gott schrieb den Israeliten zum Beispiel genau vor, welche Gebiete
sie einnehmen sollten. Das versprochene Land war von Anfang an begrenzt – und die
Grenzen legte nicht Josua fest. Überhaupt war es Gott, der die wesentlichen
Entscheidungen traf und Josua Vorgaben zu allen möglichen Lebensbereichen
machte: So durften die Israeliten ihre
Feinde nicht so ausplündern, wie es bei anderen Völkern üblich war. Auch verbot
Gott in Josua 11 die erbeuteten hochmodernen Streitwagen zu nutzen – vielmehr sollte
Josua sie zerstören. Es war zu jeder Zeit klar, dass die Landnahme Kanaans Gottes Sache war. Josua hatte sich
unterzuordnen und zu gehorchen. Es ging nicht darum, dass er sich selbst
verwirklichen und sich einen Namen für die Ewigkeit machen sollte.
Die Wüstenwanderung des Volkes Israel und auch die Person
Josua sind mir seit meiner Kindheit bekannt. Aber als ich diesen Artikel las,
sprach seine Geschichte zum ersten Mal zu mir. Zum ersten Mal kann ich mich mit
diesem Mann, der vor mehreren Tausend Jahren lebte, unter völlig anderen
Umständen als ich, irgendwie identifizieren. Und ich kann so viel von ihm
lernen!
Denn Josua geht mit seinen Grenzen ganz anders um als ich.
Mir kommt es oft so vor, als bliebe ich in meinem Leben völlig unter meinen
Möglichkeiten. Manchmal bin ich tatsächlich so vermessen zu glauben, ich könnte
super erfolgreich sein, zum Beispiel als Autorin, wenn die Kinder nicht wären.
Und es wurmt mich, dass meine intellektuellen Fähigkeiten verkümmern, während
mein Mann gerade richtig viel Neues lernt. Ich vermute, dass der Teenkreis ohne
mich den Bach runtergeht. Tatsächlich: Ich reibe mich sehr an meinen Grenzen: Ich würde so gern weiter in der Jugendarbeit
unserer Gemeinde aktiv sein – aber wegen der Kinder geht das momentan nicht.
Ich hätte so gern meine Traumküche – leider reicht dafür das Geld nicht. Ich
möchte noch einmal studieren oder vielleicht eine Fernbibelschule absolvieren –
dafür habe ich allerdings gerade weder die Zeit noch das Geld. Ich wünschte,
ich könnte auch so viel reisen und unternehmen wie meine kinderlosen
Freundinnen! Ach, hätte ich doch wieder meinen Vorschwangerschaftskörper
zurück! Wenn ich doch so wunderbar schreiben könnte wie Christina Brudereck… So
könnte es endlos weitergehen.
Josua allerdings scheint solche
Hätte-Hätte-Fahrradkette-Gedanken nicht gehabt zu haben. Markus Franz schreibt:
„Josua klagte nicht ständig über Behinderungen. Er war unbezwingbar,
unwiderstehlich, bewundernswert erfolgreich. Und zwar innerhalb seiner Grenzen.“ Er persönlich zog daraus die ermutigende
Erkenntnis: „Meine unverrückbaren Grenzen sind nicht Fluch und böses Schicksal.
Diese Begrenzungen stehen – wie bei Josuas Kanaan – rund um den Ort herum, an
dem sich Gott erfahrbar machen möchte. An dem er mir seine Freundschaft
schenken möchte. An dem ich wirksam und für andere da sein soll. […] Die Erfüllung meines Lebens
hängt nicht von der Weite meiner Möglichkeiten ab, sondern von der Nähe Gottes.
Ich muss über meinen Begrenzungen nicht müde oder bitter werden. Ich
darf gespannt sein, was sich da für mich und andere täglich entfaltet.“
Dieses Leben, das ich gerade lebe, ist mein versprochenes
Land. Mit all seinen Limitierungen und Grenzen. Ich gehe fest davon aus, dass
Gott mich an diesen Ort gestellt hat, und in diese Lebensumstände. Er hat mir
diese beiden Kinder anvertraut. Diesen Körper. Dieses Maß an freier Zeit. Diesen
Mann. Dieses Budget. Diese Beziehungen, Fähigkeiten, Aufgaben, diese Nachbarschaft.
Dies ist mein
Kanaan, das ich erobern darf. In dem ich mich entfalten kann, mit allem, was
ich bin und habe. Dessen Reichtum ich entdecken und genießen darf. Mein Kanaan,
das Gott mir geschenkt hat – mit dem er mich herausfordert und in dem er stets
bei mir ist. In diesem meinem gelobten Land darf ich Ihn immer wieder suchen –
und Er lässt sich von mir finden.
Und manchmal ist das, was wie eine Begrenzung erscheint,
vielleicht auch eine völlig neue Möglichkeit: Durch die Kinder habe ich ein
großartiges Themenfeld erschlossen, über das ich schreiben kann. Überhaupt hat
dieser Blog hier viel mit meinem Mutteralltag zu tun! Im Teenkreis unserer
Gemeinde kann ich mich gerade nicht einbringen – aber durch die Kinder ergeben
sich neue Berührungspunkte mit den Jugendlichen, die sich gern als Babysitter
engagieren oder mit mir und den Kindern Zeit verbringen. Und ich kann mich zwar
gerade geistig und intellektuell weiterentwickeln – dafür lerne ich unheimlich
viel auf anderen Ebenen, über mich selbst, über das Menschsein und über Gott.
Ich darf in meiner Persönlichkeit reifen und in der Beziehung zu Gott wachsen,
in meinem persönlichen verheißenen Land.
Hier möchte ich sein und ganz im Jetzt. Denn hier und jetzt
ist das Leben, das Gott für mich vorbereitet hat. Hier und jetzt sind meine
Kinder, die mich brauchen und für die ich da sein soll. Nicht im Konjunktiv
möchte Gott mir begegnen, nicht an einem Ort meiner idealisierten Vorstellung,
nicht in der verklärten Vergangenheit oder in einer utopischen Zukunft. Sondern
im Hier und Jetzt.
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