Dienstag, 3. März 2015

Der ganz alltägliche Wahnsinn



05:07 Uhr
Ein Kind schreit in der Nacht. Während ich langsam erwache, wird mir klar, dass es mein Kind ist, das schreit, direkt neben mir. Falko ist schon vor ein paar Minuten aufgestanden; ich höre im Bad das Wasser rauschen. Samuel schreit und schreit und will sich einfach nicht an die Brust anlegen lassen. Ich für meinen Teil möchte einfach nur meine Ruhe haben und schlafen, aber weil er sich nicht beruhigen lässt und ich außerdem fürchte, dass Noemi wach werden könnte, stehe ich auf. Außerdem hat er die Windeln voll. Das war’s also mit dieser Nacht. Heute endet sie bereits um sieben nach fünf.
Ich gehe mit Samuel ins Wohnzimmer, das dunkel ist und kalt. Er ist ganz hysterisch und ich bin es inzwischen auch; ich muss ihn kurz aufs Sofa legen und das Zimmer verlassen, weil ich sein Geschrei nicht länger ertrage. Eine andere Mutter aus der Gemeinde hat mir neulich erzählt, dass sie, als ihre zwei Ältesten noch so klein waren wie unsere beiden, ab und zu gegen die Waschmaschine getreten hat, um sich abzureagieren (und sie hat trotzdem noch zwei weitere Kinder bekommen!). Weil ich möchte, dass unsere Waschmaschine noch ein paar Monate durchhält, hämmere ich mit den Fäusten gegen die Wand. Tränen laufen über mein Gesicht. Ich möchte nicht so eine Mutter sein. Unbeherrscht, hysterisch, unberechenbar. Und doch bin ich genau so. In diesem Moment.
Ich gehe zurück ins Wohnzimmer. Samuel schreit (natürlich) noch immer, trinkt aber endlich und ist plötzlich lammfromm, als ich ihn wickle und umziehe. Als er mich auch noch mit seinem umwerfenden Lächeln anstrahlt, ist die kleine Panikattacke von vor zehn Minuten fast wieder vergessen.
An Schlaf ist nicht mehr zu denken, aber vielleicht kann ich ja noch ein bisschen dösen… Wir legen uns gemeinsam aufs Sofa. Mit meiner Hand auf seinem kleinen Bauch wird Samuel ruhiger, bis er schließlich eingeschlafen ist. Als auch ich gerade dabei bin, in den Schlaf zu driften, klingelt der Wecker…

08:34 Uhr
Eigentlich müssten wir uns jetzt anziehen und losgehen, damit Noemi pünktlich beim Mini-Club ist. Meine Tochter und ich sind auch schon fertig; haben (einigermaßen…) in Ruhe gefrühstückt, ein bisschen die Küche aufgeräumt und die Zähne geputzt. Aber Samuel braucht noch eine Mahlzeit vor unserem kleinen Ausflug – ein vor Hunger schreiendes Baby möchte ich ungern in der Manduca durch Steglitz schleppen. Also setze ich mich in meinen „Still-Sessel“ und versuche zu ignorieren, dass Noemi mal wieder sämtliche Schuhe in der Wohnung verteilt…
Irgendwann kommen wir tatsächlich los. Natürlich nicht ohne eine schleimige Spuckattacke unseres Jüngsten, natürlich. Mit beiden Kindern und einem kleinen Rucksack beladen trample ich die Treppe runter. Als wir unten angekommen sind (Gott sei Dank ohne uns etwas gebrochen zu haben!), höre ich unsere Nachbarin auf der Treppe. Heute trennte mich also nicht einmal eine Minute von dem Luxus, nur ein Kind schleppen zu müssen. Grrrr…

09:06 Uhr
Wir kommen gar nicht mal soooo verspätet beim Mini-Club an. Meine Tochter marschiert ins Spielzimmer als wäre es ihr Eigentum, wirft mir einen routinierten Handkuss zu und sagt „Tschö tschö“. Damit bin ich verabschiedet und sie wendet sich einem Puppenwagen zu.
Ich gehe, mit gemischten Gefühlen: Zum einen bin ich froh und erleichtert, dass die Eingewöhnung und die bisherigen Abschiede so problemlos verlaufen sind. Gleichzeitig verunsichert mich diese total unproblematische Eingewöhnung. Heißt es nicht, eine lange Eingewöhnungszeit weise auf eine stabile Bindung des Kindes zur Mutter hin? Wäre im Umkehrschluss Noemis Bindung an mich unsicher? Dazu kommt noch ein schlechtes Gewissen Noemi gegenüber – es fühlt sich an, als würde ich sie abschieben, jedenfalls ein bisschen. Und darf ich mich darüber freuen, sie für drei Stunden los zu sein?

10:51 Uhr
Samuel und ich sind allein zu Hause. Er ist wach und freut sich seines Lebens. Ich genehmige mir ein Stück Marmorkuchen (gestern habe ich der Backlust nachgegeben) und atme durch. Zweieinhalb Stunden mit nur einem Kind, das ist doch was! Noch dazu, wenn dieses eine Kind so friedlich ist, wie mein Sohn gerade. Auf Hausarbeit habe ich gerade keine Lust, erledige nur schnell die Wäsche und bereite das Mittagessen vor. Heute gibt es Quinoa-Salat mit Kichererbsen und Cranberries. Ein super Rezept, wie ich finde – leider mit US-amerikanischen Mengenangaben… Aber das liebe, schlaue Internet kann euch sicherlich beim Umrechnen behilflich sein, falls ihr den Salat ausprobieren wollt und keine cups da habt.

Quinoa-Salat mit Kichererbsen und Cranberries (für 2-3)

*¾ cup Quinoa heiß abspülen, dann in kochendes Salzwasser geben und ca. 15 Minuten köcheln lassen, bis die Körner durchsichtig und weich sind, aber noch nicht matschig. Den fertigen Quinoa abgießen und abkühlen lassen. { In der Zwischenzeit eine Handvoll frische Kräuter (z.B. Petersilie, Basilikum, Minze) waschen, trockenschleudern und hacken (ich habe tiefgefrorene genommen….).
* ¼ cup gehobelte Mandeln in einer Pfanne kurz anrösten und abkühlen lassen. ½ Dose Kichererbsen abtropfen lassen (ich hab die Dinger auch geschält, aber das muss vielleicht nicht sein, ist ziemlich viel Arbeit). Kräuter, Mandeln und Kichererbsen zusammen mit 1/3 cup getrockneten Cranberries (alternativ: Kirschen) in eine Schüssel geben und mischen. Den abgekühlten Quinoa dazugeben.
*¼ cup Olivenöl mit 2 EL Rotweinessig, 1 TL Honig und ½ TL Senf zu einer Marinade verrühren (ich mache das gern in einem Schüttelbecher, funktioniert super), diese mit Salz und Pfeffer würzen und die Zutaten in der Schüssel damit übergießen. Gründlich durchmischen.  
*Den Salat vor dem Servieren mit ca. ¼ cup gehobeltem Parmesan bestreuen.
*Im Original-Rezept (von Debbie Koenig) ist davon zwar nicht die Rede, aber ich habe auch noch eine ordentliche Handvoll Granatapfelkerne untergemischt, was sehr gut passte.


12:23 Uhr
Wir sind wieder zu Hause. Die Mittagszeit ist (wie eigentlich alle Mahl-Zeiten…) üblicherweise sehr stressig – heute fühle ich mich dafür aber gut gerüstet, weil ich ja den Salat schon vorbereitet habe und wir uns direkt an den gedeckten Tisch setzen können. Dass Samuel just in diesem Moment aufwachen und Hunger anmelden würde – ja, damit hätte ich eigentlich rechnen müssen. Naja, immerhin kann mein Essen heute nicht kalt werden… So sitze ich mal wieder mit Kind an der Brust am Küchentisch und versuche gleichzeitig, meine ziemlich launische Eineinhalbjährige zum Essen zu motivieren und selbst ein paar Gabeln voll Quinoa in meinen Mund zu schaufeln. Noemi verweigert das Mittagessen heute fast komplett, pult nur ein paar Granatapfelkerne aus ihrem Salat und isst den verbliebenen Käse auf ihrem Mini-Club-Brotrest. Und Samuel spuckt seine Milch aus, in hohem Bogen. So viel zum Thema entspanntes Mittagessen…

14:37 Uhr
Was hatte ich mir nicht alles Schönes vorgenommen für meine wohlverdiente Mittagspause! Ich wollte an meiner Decke weiterstricken, ein bisschen lesen, mich vielleicht hinlegen und ein paar Zeilen in die Tagebücher der Kinder schreiben (z.B. dass Noemi ihr morgendliches Müsli inzwischen alleine isst und auch immer besser mit einer Gabel umgehen kann, oder dass Samuel gar nicht mehr so verwirrt durch die Gegend schaut). Aber daraus wird heute wohl nichts.
Noemi ließ sich ganz gut ins Bett bringen und war bald eingeschlafen, aber Samuel hat darauf gerade so gar keine Lust. Höchstens vielleicht auf Mamas Arm. Darauf liegt er nun gefühlte Ewigkeiten, wobei mein Arm schon seit einiger Zeit nichts mehr fühlt – der ist eingeschlafen. Und so schwanke ich zwischen Verzückung über meinen süß grinsenden Sohnemann und Genervtheit über meine geraubte Mittagsruhe hin und her. Immerhin – Lesen kann ich auch mit Kind auf dem Arm. Und noch ein Stück Marmorkuchen essen.

16:56 Uhr
Die Kinder üben sich in ihrer Königsdisziplin: Synchronschreien. Samuel liegt auf dem Wickeltisch und mag nicht, dass ich ihn nach dem Saubermachen (das findet er gut, sauber gemacht werden und nackig strampeln) wieder anziehe. Noemi steht zwischen mir und dem Wickeltisch und mag nicht, dass ich sie gerade nicht auf den Arm nehme. Ich wünsche mir zum x-ten Mal an diesem Tag entweder Nerven wie Drahtseile, temporäre Taubheit oder Lautstärkeregler an den kindlichen Organen – oder am besten alles zusammen.
Diese Wünsche gehen nicht in Erfüllung, aber es passiert etwas eigentlich noch viel besseres: Der Papa kommt zur Tür herein. Da vergisst zumindest unsere Große ihren Kummer sofort. Und auch mir geht es gleich viel besser: Meine Schultern lassen sich hängen, der Herzschlag verlangsamt sich und meine Mundwinkel stemmen sich fröhlich nach oben.
Wenn Falko nach Hause kommt, ist das für mich fast wie Feierabend. Obwohl der wirkliche Stress natürlich jetzt erst losgeht…


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