Am Samstagabend waren wir das erste Mal seit Samuels Geburt aus,
Falko und ich. Anstatt wie sonst ins Restaurant oder Kino (und das obwohl wir
den neuen Bond noch nicht gesehen haben!) gingen wir diesmal zu einem Lese- und
Musik-Abend von
2Flügel. Christina Brudereck und ihre Texte finde ich ja
sowieso toll, aber ich wusste noch gar nicht, wie virtuos ihr Mann und zweiter
Flügel, Ben Seipel, auf dem Klavier spielt! So verbrachten wir einen
wunderschönen, berauschenden Abend zusammen, von dem wir jede Minute genossen –
die langen Busfahrten übrigens eingeschlossen.
Denn wissen die ganzen missmutig vor sich hinstarrenden Leute gar
nicht, wie gut sie es haben, dass sie ohne sperrigen Kinderwagen (samt
plärrendem Inhalt) durch die Stadt fahren können? Ich fand es so unendlich
entspannend, einfach nur dazusitzen, Falkos Hand zu halten und nichts weiter
tun zu müssen… herrlich!
Und die „Lieblingsmusik und Geschichten“ waren
grandios. Wir haben gelacht und geweint, den Kopf geschüttelt und genickt,
mitgesungen und mit Riesenohren gelauscht; wir hoben vom Boden ab und reisten
in die fernsten Winkel der Erde, während unsere Zehen sich in den weichen
Heimatboden gruben wie Wurzeln… Ich habe noch nie zuvor erlebt, dass
Klaviermusik so lustig sein kann! An einer Stelle mischte der Pianist
verschiedene Stücke zu einem einzigen Klangfeuerwerk: Pippi Langstrumpf mit
James Bond und Kirchenmusik – das war so rasant, mitreißend und verrückt, dass
das Lachen aus unseren Herzen überquoll.
Und Christinas Texte (ich darf sie duzen, wir sind uns im
letzten Jahr einmal begegnet) sind so gut!
Nachdenklich, witzig, klug und herausfordernd, mit einem ganz eigenen Klang,
wie Musik eigentlich, was natürlich besonders herauskommt, wenn sie die Texte
selbst vorträgt: mit ganz viel Rhythmus, variierend im Tempo, in der Lautstärke und in der Tonart –
großartig.
Als wir zurück nach Hause fuhren, fühlten wir uns nicht wie
sonst nach dem Kinobesuch (voll, müde, geflasht und mit drückender Blase),
sondern so lebendig, voller Energie und Erwartung. Der Abend hatte uns nicht
ausgesaugt und unserer Kräfte beraubt; vielmehr verließen wir den Saal als Beschenkte, als
Beglückte.
Eine der Geschichten berührte mich ganz besonders, die nehme
ich mit in die neue Woche und möchte sie mit euch teilen (und hier kommen wir,
nun endlich, zu Mut am Montag):
In Birma soll eine riesige, tönerne Buddha-Figur einer
neugeplanten Schnellstraße weichen. Die Regierung hat dem Kloster ein neues
Gelände zur Verfügung gestellt, und die Mönche sind mit dem Umzug
einverstanden. Taue werden um den Buddha gelegt, ein Kran hebt die Statue
vorsichtig an – diese jedoch stellt sich als schwerer heraus als gedacht, und
kann nur kurz angehoben werden, ehe sie unsanft zurück auf dem Boden landet.
Die Mönche entdecken einen langen Riss im Ton und sind entsetzt, einige
beginnen sogar zu weinen. War es ein Fehler gewesen, der Regierung nachzugeben?
Zweifel und Unmut keimen auf, doch der Abt betrachtet den Riss genauer und
bittet schließlich um Hammer und Meißel. Er beginnt, den Ton am Riss entlang abzutragen – und legt Stück für Stück eine Figur aus purem Gold frei.
Einst hatten Mönche desselben Klosters ihren wertvollen
Schatz mit Ton bedeckt, um ihn zu schützen, und dieses Geheimnis mit ins Grab
genommen.
Die Geschichte endete am Samstagabend so: Mögen wir so sein
wie die Mönche, die alles dafür taten, um das, was wertvoll ist, zu schützen.
Und mögen wir so handeln wie die Mönche, die das Kostbare wieder sichtbar
machten und freilegten.
Mich faszinierte an dieser Geschichte besonders, dass der
Moment, als manche schon alles verloren glaubten, als ein großer Riss sich
auftat, der Wendepunkt ist – der Augenblick, in dem endlich das unter dem Ton
verborgene Gold hervorschimmert.
Und ich denke daran, was Paulus in seinem zweiten Brief an
die Korinther schreibt:
„Denn Gott, der
sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten,
der hat einen hellen
Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur
Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die
überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.“
(2. Korinther 4,6+7)
Ich weiß, dass meine Kraft klein ist, dass sie oft einfach
nicht reicht. Und immer wieder zerspringt etwas in meinem Leben. Es tun sich
Risse auf, große und kleine, die Farbe blättert ab und ich habe Mühe, mich
selbst zusammenzuhalten. Dann tröstet mich das Wissen, dass ich zwar nur ein
tönernes, zerbrechliches Gefäß bin, mein Gott aber mich in seinen Händen hält.
Ich bin sein Gefäß, und mehr muss ich
auch nicht sein. Ich kann (und muss) zuerst einmal nichts anderes tun, als das
aufzufangen, was er in mich hineinschüttet, all den Segen, all
das Licht. Wenn wieder mal ein Riss aufklafft, wenn die Fassade bröckelt, dann wird
mehr von dem sichtbar, was wirklichen Wert hat.
St. Martin ist zwar schon wieder vorüber, aber in unserem
Haus tönen die Laternenlieder aus dem Mund unserer Tochter weiter. „Ich geh mit
meiner Laterne und meine Laterne mit mir“, singt sie, und immer wieder diese eine
Zeile: „Brenne auffällig, brenne auffällig, brenne auffällig!“ (ursprünglich
lautend: Brenne auf mein Licht…) Für mich ist das wie eine Erinnerung daran, mein
Licht leuchten zu lassen, wie Jesus uns auffordert; es auf einen Kerzenständer
zu stellen, damit es allen im Haus scheint. Und das Licht bin ja nicht ich
selbst. Ich bin das irdene Gefäß, zerbrechlich und nicht mehr ganz original,
aber das Gefäß meines unfassbar großen und liebenden Gottes! Das ist so unbeschreiblich schön und viel zu groß, als dass ich es fassen könnte - dass Gott tatsächlich uns schwache und fehlbare Menschen dazu gebrauchen kann, "dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes"!
Für heute nehme ich mir also vor, meine Hände, mein Herz und
meinen Mund ganz weit aufzusperren, wie ein Vogelkind im Nest, und mich von Gott füllen zu lassen. Dann kann ich von
dieser Fülle reich austeilen, an meine Kinder, meinen Mann, an alle Menschen,
die mir begegnen mögen.
Für heute nehme ich mir vor, meine Risse und Wunden nicht
(wie so oft) notdürftig zu überpinseln oder zu flicken, sondern das Licht der
Gnade durch sie scheinen zu lassen.
Für heute möchte ich daran denken:
„Wir sind von allen Seiten
bedrängt,
aber wir ängstigen uns nicht.
Uns ist bange,
aber wir verzagen nicht.
Wir leiden
Verfolgung,
aber
wir werden nicht verlassen.
Wir werden
unterdrückt,
aber wir kommen nicht um.
Wir tragen allezeit
das Sterben Jesu an unserem Leibe,
damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar
werde.
Darum werden wir
nicht müde;
sondern wenn auch
unser äußerer Mensch zerfällt,
so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“
(2. Korinther 4,
8-10+16)