Mittwoch, 8. August 2018

Das Wunder der Metamorphose



Was die Raupe
Ende der Welt nennt,
nennt der Rest der Welt
Schmetterling.

Laotse


An einem warmen Tag Ende Juni beobachtete ich auf unserem Balkon einen weißen Schmetterling, der sich auf ein Kapuzinerkresseblatt setzte und dort eine Weile sitzen blieb. Als er fort flog, schaute ich nach - und siehe da, er hatte seine Eier auf dem Blatt abgelegt. Lauter winzigkleine gelbe Punkte.


Da kam mir eine Idee: Ich hatte noch nie die Metamorphose eines Schmetterlings miterlebt - jetzt bot sich mir und uns als Familie die Gelegenheit! Vorsichtig zupfte ich das Blatt mit den Schmetterlingseiern ab und legte es in ein großes Weckglas. Das sollte das Zuhause der Raupen sein.

Schon am nächsten Tag sahen die Eier verändert aus - sie waren nicht mehr gelb, sondern bräunlich-grün verfärbt. Ich machte mir schon Sorgen, sie könnten irgendwie abgestorben sein. Aber im Gegenteil: Noch einen Tag später waren die winzigen Raupen geschlüpft. Das war aufregend für die Kinder (aber am meisten wohl für mich)! Zuerst waren die Raupen kaum zu sehen, nur ein schwarzer Punkt mit einem kleinen grünen Strich. Wir fütterten sie mit Kapuzinerkresse-Blättern und innerhalb weniger Tage waren die Raupen enorm gewachsen.

Diese frisch geschlüpften Larven haben wir auf einem anderen Blatt entdeckt.

Ein Zuhause für unsere Raupen

Jetzt fing ich doch an, zu recherchieren: Was sind das für Raupen und wie kümmern wir uns richtig um sie? Das Internet spuckte Informationen aus, die mein Liebster sowieso schon gewusst hatte: Der Schmetterling, der die Eier abgelegt hatte, war ein großer Kohlweißling. Eigentlich ein Schädling, der im Garten viel Schaden anrichten kann. Nicht der bunteste und schönste Schmettering, aber doch ganz hübsch... (Im Lauf der nächsten Wochen fand ich immer wieder Eier an unserer Kapuzinerkresse, die ich aber alle entfernte - ich möchte auch ein bisschen was von dieser Pflanze haben!).
Unsere Raupen bekamen ein Bett aus Erde, täglich frische Kapuzinerkresseblätter, einen Ast zum Klettern (und sich verpuppen?) und immer wieder sprühte ich zur Erfrischung etwas Wasser in das Glas. Ich entfernte abgeknabberte (und vollgekackte) Blattreste und redete den Raupen gut zu. Von den bestimmt 30 Raupen, die aus den Eiern geschlüpft waren, behielten wir am Ende nur fünf - sonst wäre es für sie im Weckglas sicher zu eng geworden.





Die Kinder betrachteten die Raupen als "unsere Haustiere" und irgendwie hatten sie damit ja Recht. Das große Weckglas stand auf dem Esstisch, sodass wir die Raupen jederzeit beim Fressen beobachten konnten. An manchen Tagen fraßen sie tatsächlich unglaublich viel - an anderen Tagen saßen (lagen?) sie unbeweglich auf einem Blatt oder dem kleinen Ast und wir hatten schon Sorge, es könnte ihnen nicht gut gehen... Aber dann fraßen sie weiter und kamen uns noch viel dicker vor als ein paar Stunden zuvor.

Dann fuhren wir übers Wochenende weg. Ich gab ihnen eine extra große Portion Blätter und Wasser ins Glas und verschloss die Öffnung mit einem Stück Butterbrotpapier, in das ich ein paar Luftlöcher gepiekst hatte. Eigentlich waren sie nun (laut Mr. Internet) groß genug, um sich zu verpuppen - ca. 4cm lang... Wir waren gespannt!

Und tatsächlich, als wir zurückkamen, fanden wir vier Konkons im Weckglas vor - und eine Raupe, die im Begriff war, sich zu verpuppen. Dieses geschah dann am nächsten Tag innerhalb weniger Stunden. Sehr interessant! Weil die Schmetterlingspuppen in diesem Zustand sehr empfindlich sind, wollte ich das Weckglas nicht bewegen und konnte so nur sehr schlechte Fotos der Puppen machen...


Diese Raupe ist noch dabei, sich zu verpuppen...
So sieht der fertige Kokon aus.

Jeden Tag sahen wir nach den Kokons, ob sich darin schon etwas tat. Nichts passierte.
Ich muss zugeben, dass in mir Zweifel hochstiegen. Diese Kokons sehen schon ein bisschen aus wie ägyptische Sarkophage, wie straff gewickelte Leichentücher. Vollkommen leblos. War dies das Ende?
Ich fragte mich, ob etwas schief gegangen war und die unfertigen Schmetterlinge tot. Ich dachte, dass das doch überhaupt gar nicht sein kann, dass aus so einer toten Hülle ein Schmetterling kommen soll. Es schien mir absolut unmöglich.


...

Aber dann, eines schönen Morgens, nachdem ich die Kinder zur Kita gebracht hatte, bemerkte ich etwas: Drei von fünf Schmetterlingen waren geschlüpft! Von uns vollkommen unbemerkt, ganz unerwartet, heimlich still und leise und wunderschön: drei hauchgelbe Kohlweißlinge.

 

Im Lauf des Vormittags schlüpfte noch der vierte, und am Nachmittag ließen zwei aufgeregte Kinder und ich unsere Schmetterlinge frei. Die Kiwi, die ich ihnen aufgeschnitten angebot, hatte leider nicht ihren Geschmack getroffen und so wollten wir ihnen die Möglichkeit geben, sich in Freiheit an ein paar leckeren Blüten sattzuessen. Und besonders viel Platz zum Fliegen bot ihnen das Weckglas ja auch nicht...




Zurück blieben diese hauchdünnen Kokonhäute.


Ein letzter Kokon war noch übrig. Diesen beäugten wir den ganzen Nachmittag und Abend lang. Immer wieder beobachteten wir, dass sich darin etwas tat, ein leichtes Ruckeln und Zittern... aber das Schlüpfen selbst geschah, wieder von uns unbemerkt, mitten in der Nacht.
Als wir am Morgen nachschauten, flatterte der fünfte Kohlweißling munter im Glas herum. Auch er hatte es geschafft! Als einziger der fünf Schmetterlingsgeschwister bekam er einen Namen: Lucky Luke.




Noch vor dem Frühstück entließen wir ihn in die Freiheit. Zuerst wollte er nicht richtig, aber dann traute er sich doch und flog "zu seinen Freunden", davon waren die Kinder fest überzeugt!




Jetzt, wo sie irgendwo draußen herumflattern, vermissen wir unsere fünf Kohlweißlinge schon ein bisschen. Etwas mehr als drei Wochen lang durften wir ihr Zuhause und ihre Familie sein. Und wer weiß - vielleicht sehen wir Lucky Luke und seine vier Geschwister schon bald wieder. Wann immer uns draußen ein weißer Schmetterling mit schwarzen Punkten begegnet, werden wir wissen: Das ist einer von unseren.

Diese wundersame Verwandlung so hautnah mitzuerleben war ein ganz tolles Erlebnis - nicht nur für unsere Kinder. Auch wir Erwachsene haben viel dadurch gelernt. Die Metamorphose ist ein wunderbares Bild für uns Menschen, für Neuanfang, wahre Bestimmung und für die Auferstehung.
Wir sind alle zu etwas anderem berufen. Auch wir werden eines Tages verwandelt werden und neue Geschöpfe sein.

Und auch bis dahin werden wir noch die eine oder andere Verwandlung durchmachen. Manchmal wird es sich wie das Ende anfühlen, wie eine Sackgasse, wie ein Leichentuch. Aber dann wird etwas Neues und Gutes daraus entstehen, etwas viel Größeres, als wir es uns jemals hätten erträumen können.

Wenn ich das nächste Mal einen Schmetterling sehe, werde ich daran denken.


PS: Lustigerweise schlüpften die Schmetterlinge ausgerechnet an dem Tag, an dem ich auch meinen Shop eröffnete (habt ihr schon mal reingeschaut?) und unser Sohn das Fahrradfahren lernte. Manche Tage sind wohl solche Schmetterlingstage. Metamorphosentage...





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