Mittwoch, 22. August 2018

Freispruch



Ein warmer, sonniger Tag. Summer in the City, meine Tochter und ich mitten drin. Wir waren unterwegs, um ein paar Dinge zu erledigen, waren sehr viel hin und hergelaufen und wollten nun zurück nach Hause fahren, mit dem Bus. An der Bushaltestelle gab es noch einen freien Sitzplatz, den ich meiner Tochter überließ.
Plötzlich machte sich Unmut breit. Eine andere Frau stand auf, um ihren Sitz einer älteren Dame mit Krückstock anzubieten. Ich war total in Gedanken gewesen und hatte sie nicht bemerkt, sonst hätten wir ihr den Platz natürlich überlassen. Ein älterer Herr, der auch auf der Bank saß, regte sich extrem über mich auf. "Hauptsache, das Kind sitzt! Und im Bus wird dann natürlich auch kein Platz gemacht." Ich entschuldigte mich bei der älteren Dame, ich hatte sie überhaupt nicht gesehen, und für sie war das auch kein Problem. Aber der ältere Herr konnte sich nicht beruhigen. Zeterte immer weiter, nannte mich "unverschämt", schüttelte den Kopf über mich, schaute mich missbilligend an...
Das war zu viel für mich. Es war ungerecht und falsch und vollkommen übertrieben - und doch konnte ich diese Situation nicht einfach von mir abstreifen. Warum hatte ich die Frau nicht bemerkt? War ich wirklich unverschämt? Hatte der ältere Herr vielleicht recht? Aber warum musste er mich so angehen?
Ich fing an zu weinen, konnte die Tränen einfach nicht zurückhalten.

Das war am Montag. Eine Situation von mehreren in den vergangenen Wochen, in denen ich von vollkommen fremden und unbeteiligten Menschen unfreundlich angegangen, kritisiert und verurteilt worden war. Und immer hatte es mit den Kindern zu tun: Eine ältere Dame in Potsdam, die mir vorwarf, ich würde meinem Kind Trost verweigern (weil ich nicht wollte, dass sie meinem weinenden Kind ein Bonbon gab); eine Autofahrerin, die mich als "schlechtes Vorbild" für meine Kinder beschimpfte, als wir versuchten, eine schwer einsehbare Straße zu überqueren; ein Fahrradfahrer, der sich einmischte...

Ich kann das alles nicht von mir abschütteln. Ich zermartere mir den Kopf, wie ich mich besser hätte verhalten können, ob ich vielleicht doch einen Fehler gemacht habe, ob ich wirklich eine schlechte Mutter bin, wie ich solche Kommentare in Zukunft vermeiden kann (inzwischen verstehe ich immer besser, warum so viele Menschen sich in ihren Autos verschanzen. Darin ist man auch vor Kritik und unfreundlichen Anmachen etwas besser geschützt.)

Menschen, die mich nicht kennen und nur diesen einen Moment mit mir teilen, haben eigentlich kein Recht, über mich zu urteilen. Eine einzige, aus dem Zusammenhang gerissene Situation sagt rein gar nichts über mich als Person aus. Diese Leute wissen nichts von mir und uns als Familie, und doch maßen sie sich krasse Urteile an.
Seit ich Mutter bin, scheine ich eine Person des öffentlichen Lebens geworden zu sein, der jeder ungefragt und ungeschminkt seine Meinung entgegenpfeffern darf. Ich bin mir sicher, dass dies ein Phänomen ist, das viele Frauen kennen. Ständig mischt sich jemand ein - zum Teil nett gemeint, selten aber wirklich hilfreich. Irgendetwas scheint man als Mutter immer falsch zu machen, und es gibt viele Menschen, die es als ihre Aufgabe ansehen, Kinder vor ihren unfähigen Müttern zu schützen.

Und diese Kritik an dem Verhalten meiner Kinder oder an meinem (vermeintlichen) Erziehungsstil trifft und verunsichert mich extrem. Das ist ein Lebensbereich, der hochsensibel und -emotional ist, wo krasse Fronten aufeinandertreffen, wo es um unser höchstes Gut geht: unsere geliebten Kinder!
Ein jeder verurteilender Satz kratzt an meinem Selbstwert, an meiner Sicherheit, an meiner Identität. 



Noch am Abend, als ich schon im Bett lag, dachte ich noch über das Erlebte nach.
Ein Stempel war mir aufgedrückt worden: unverschämt , ein Urteil gefällt: schuldig, und ich fühlte mich so hilflos.

Aber dann erlebte ich etwas, das ich in letzter Zeit häufiger erlebe: Mein Fall ins Dunkel wurde vom Heiligen Geist aufgehalten. Ich fiel in seine Hände und er hob mich empor, zurück ins Licht - indem er mich daran erinnerte, was wirklich wahr ist. Mein Problem ist, dass ich so oft Lügen glaube...
Und so erinnerte er mich an die Wahrheit, in Form von zwei Bibelpassagen:

Mir ist's aber ein Geringes, 
dass ich von euch gerichtet werde oder 
von einem menschlichen Gericht;
auch richte ich mich selbst nicht.
Ich bin mir zwar nichts bewusst,
aber darin bin ich nicht gerechtfertigt;
der Herr ist's aber, der mich richtet.
Darum richtet nicht vor der Zeit,
bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringt,
was im Finstern verborgen ist,
und wird das Trachten der Herzen offenbar machen.
Dann wird einem jeden von Gott
sein Lob zuteil werden.
1. Korinther 4,3-5


So gibt es nun keine Verdammnis für die,
die in Christus Jesus sind.
Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen?
Gott ist hier, der gerecht macht.
Wer will verdammen?
Jesus Christus ist hier,
der gestorben ist, ja vielmehr,
der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes sitzt,
und uns vertritt.
Römer 8,1+33-34

 
Niemand (!) hat das Recht, mich zu verurteilen - nicht einmal ich selbst!
Nicht, weil ich unfehlbar bin, über jeden Zweifel erhaben, tadellos, perfekt.
Sondern weil Jesus für mich gestorben ist, weil er, der ohne Sünde und vollkommen perfekt war, für mich den Freispruch bei Gott erwirkt hat. Dank und Preis sei ihm allein!

Ich bin freigesprochen und dieses Urteil kann niemand aufheben als Gott allein.

Egal, ob ich tatsächlich falsch gehandelt habe oder nicht, ob ich mir meiner Verfehlung bewusst bin oder nicht - Jesus Christus ist hier und Gott spricht mich frei.
Andere Menschen haben mit ihrem Urteil genauso wenig Macht über mich wie meine eigenen selbstverdammenden Gedanken. All diese Urteile zählen nicht, sie haben keinen Wert, keinen Sinn, keine Gültigkeit.





Das ist so eine befreiende Botschaft! Ich bin tatsächlich frei!

Natürlich heißt das nicht, dass ich von nun an mit Scheuklappen durchs Leben gehen werde, dass jede berechtigte Kritik an mir abperlt und mir mein eigenes Verhalten in der Gesellschaft von nun an wurscht ist. Ich werde mich weiterhin darum bemühen, meinen Mitmenschen freundlich, respektvoll und hilfsbereit zu begegnen und auch meine Kinder zu einem solchen Verhalten anzuregen.

Aber wenn ich das nächste Mal blöd angemacht werde, wenn ich wieder (und es wird wieder passieren!) von jemandem verurteilt werde, dann werde ich nicht zulassen, dass mir ein Stempel aufgedrückt wird. Denn das Urteil hat Gott schon gesprochen, es lautet "unschuldig". Ich werde mein Leben nicht länger im Gerichtssaal verbringen, wenn ich doch schon längst freigesprochen bin.

Ich bin frei, mich zu entschuldigen, wenn es nötig ist. Ich bin frei, das Urteil eines anderen Menschen über mich abzuklopfen wie Staub.


Und ich möchte auch mein eigenes Urteil zurückhalten. Was für mich gilt, gilt für die anderen nämlich auch: Der einzige, der das Recht hat, ein Urteil zu sprechen, ist Gott. Mir steht das nicht zu. Und in den allermeisten Fällen fehlt mir sowieso der Kontext, um mir eine vernünftige Meinung bilden zu können (und doch ploppen verurteilende Gedanken so schnell auf, zumindest bei mir!).

Lasst uns doch weniger über einander urteilen und dafür mehr positive, aufbauende, ermutigende Dinge sagen!
Ein Satz, den jede Mama so viel lieber hören würde (und auch viel besser gebrauchen kann) als gutgemeinte Kommentare zu Beikost, Stillen in der Öffentlichkeit oder Disziplin ist:

"Ich finde, Sie machen das ganz wunderbar mit Ihrem Kind!" 

Wie wäre es, wenn wir das einfach mal sagen? Wenn wir uns um Verständnis bemühen, um ein Lächeln, wenn wir anderen den Vortritt lassen, einen Sitzplatz anbieten, Entschuldigen aussprechen und annehmen und auch mal ein ernstgemeintes Kompliment?

Das wäre so ein schönes Leben, für uns alle...



2 Kommentare:

  1. Liebe Reh,
    deine Gefühle bei dem Erlebnis an der Bushaltestelle und den anderen Situationen kann ich gut nachvollziehen. Kenne ähnliches auch. Mehr Barmherzigkeit miteinander wäre schön. Wir sind so verletzlich als Mütter, noch dazu, wenn wir eine empfindsame Natur haben... Die Bibelstellen, die du aufgeschrieben hast, tun da gut. Wie gut, dass wir Jesus haben!
    Ich mag deinen Blog sehr gerne und deine Kunstwerke (auch wenn ich nicht so oft einen Kommentar losschicke)- mach weiter so :-)
    Liebe Grüße von Maria

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    1. Vielen Dank, liebe Maria, für deinen lieben Kommentar! Barmherzigkeit ist ein gutes Stichwort - die wünsche ich mir auch mehr für mich selbst und unser aller Miteinander. Jesus ist so perfekt und hätte allen Grund, uns zu verurteilen - aber er tut es nicht, und das berührt mich so sehr.
      Schön, dass du hier bist! Ganz liebe Grüße
      Rebekka

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